Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Keller.“
„Ist schon okay, Jo.“ Er lachte auf. „Du hast eine dunkle Gruft erwartet, oder?“
„Ja, ich war überrascht, dass es so aufgeräumt war, und diese weiß gestrichenen Wände – na ja.“
„Es ist ziemlich lange her, dass die Gänge da unten als Kerker und Waffenkammern genutzt wurden. A Diah! Riechst du das? Milly scheint das Kochen nicht verlernt zu haben.“
„Wo essen wir eigentlich?“, fragte ich und sah im Spiegelbild des Turmfensters, wie Ryan seine Nase in den Duft hielt, der von der Küche aus den gesamten Turm durchzog.
„Im Speisesaal“, sagte er. „Der Duke hat uns die gesamte Burganlage zur Verfügung gestellt, solange wir hier sind.“
„Warte mal!“ Ich blieb stehen und drehte mich um.
„Was ist denn?“, fragte Ryan und runzelte die Stirn.
„Ich muss wieder runter.“
„Wie bitte?“
„Ich weiß jetzt, was komisch war!“, rief ich und rannte an ihm vorbei, die Stufen wieder hinab, bis ins Vestibül.
Die alten, mit prächtigen Intarsien verzierten Holztüren hatte man als Schmuckrahmen links und rechts belassen. Die eigentliche Öffnung zum Burghof hin bestand nun aus zwei großen, schlichten Glastüren, mit einem Rahmen aus weiß gestrichenem Holz. Ich blieb etwas entfernt stehen und konnte mein verdattertes Gesicht im Glas sehen.
„Kannst du mir mal erklären, was das soll?“, fragte Ryan, als er mich erreichte.
„Die Türen“, sagte ich nur.
„Was ist damit?“
„Das Glas darin ist nicht entspiegelt, oder?“
Ryan blickte von mir zu den Türen, und ich konnte im Spiegelbild sehen, dass er die Stirn runzelte. „Sollte es das sein?“
„Na ja, vorhin war es das.“
„Jo, ich …“
„Hör zu! Als wir aus dem Keller zurückkamen, konnte ich von hier aus den Innenhof sehen, doch jetzt nicht mehr.“
„Bist du dir sicher?“
„Natürlich bin ich mir sicher!“
„Entschuldige!“, sagte er, ging auf die Türen zu und blickte hinaus. „Was genau hast du gesehen?“
„Einen Brunnen. Einen großen Brunnen mit einer Statue.“
„Ähm, Jo? Da ist keine Statue.“
„Wie bitte?“
Er drehte sich zu mir und winkte mich heran. „Komm her, und sieh es dir an! Da befindet sich zwar ein Brunnen, aber von einer Statue ist nichts zu sehen.“
Als ich mich nicht von der Stelle bewegte, wandte er sich erneut den Türen zu und öffnete sie. Kalter Wind traf mich im Gesicht, und der Mond beschien silbern eine einsame Zisterne. Keine Statue.
„Ryan, ich …“
Lächelnd schloss er die Türen und kam zu mir.
„Weißt du“, sagte er. „Einen guten Geisterjäger zeichnet es aus, dass er die Dinge erst einmal so nimmt, wie sie sind. Denk nicht allzu lange darüber nach, Jo. Speichere sie in deinem Kopf, und wenn die Zeit reif ist, rufst du sie wieder ab.“
„Irgendwo hier muss ein Projektor versteckt sein.“ Ich kniff die Augen zusammen und musterte die Gemälde und Gobelins.
Ryan atmete tief durch. „Genau, Jo“, sagte er. „Bestimmt.“ Dann verpasste er mir einen leichten Schlag auf die Schulter und stapfte in Richtung Turm davon. „Komm jetzt! Ich habe Hunger.“
Wir kamen gerade noch rechtzeitig zum Essen. Milly MacDonald stand schon Gewehr bei Fuß und strahlte dabei eine Autorität aus, die einem Feldwebel gleichkam. Kaum hatten wir uns hingesetzt, schoss sie ihre gesamte Flakbatterie auf Ryan ab.
„Nein, keine Widerrede! Sie haben schon als kleiner Junge nur im Essen herumgepickt wie ein Spatz. Ich kann mich noch sehr gut erinnern.“
„Ich nicht“, murmelte Ryan, und als sie mit der Kelle zum zweiten Mal ausholte, hielt er beide Hände schützend über seinen Teller.
Milly MacDonald schnaubte aufgebracht und wandte sich Lucas zu. „Sie sehen so aus, als ob Sie meine Kochkünste zu schätzen wüssten, mein Guter.“
„Aber immer, Ma’am!“, entgegnete er und schenkte ihr ein breites Lächeln.
Ich hatte Mühe, meine Heiterkeit im Zaum zu halten, und richtete beiläufig mein Besteck im rechten Winkel zur Tischplatte aus.
„Na, meine Liebe?“, fragte sie, als sie neben mir stand. „Ich hoffe doch, dass Sie keine Vegetarierin sind.“
Ich hob den Kopf, lächelte sie an und wollte gerade höflich verneinen, als ihr Blick brach. Ihre Augen wurden leer und starrten durch mich hindurch.
„Mrs. MacDonald?“ Ich griff nach ihrer Hand. So schnell, wie es gekommen war, war der Anfall auch vorbei. Sie zuckte zusammen, ihre Augen klarten auf, und sie wurde rot bis zu den Ohren.
„Wie bitte?“ Sie blinzelte vor
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