Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Bibliothek.
Ich lächelte, schlug den dicken Folianten zu und hievte ihn auf den Tisch. Dort lagen auch die Jahrbücher der Burg, die nach dem Krieg, der 1746 das Land verwüstet hatte, begonnen wurden. Der Clan McDonnell of Glen Monadail wurde, wie so viele andere auch, per königlichem Dekret entmachtet und aufgelöst – einfach so, und alles, was mit dem Clan und seinen Traditionen verbunden war, wurde verboten. Familien wurden auseinandergerissen und stückweise nach Amerika verschifft. Caitlin Castle fiel wie eine Kriegstrophäe in die Hände eines englischen Lords, und diese Aufzeichnungen wurden von seinen Verwaltern geschrieben, die verbissen gegen Hungersnöte und den langsamen Verfall der Burg ankämpften. Erst im Jahre 1895 wurde die Burg vom damaligen designierten Clanchief Alistair McDonnell, Lord of Monadail, zurückgekauft und in dem Glanz umgebaut, in dem es heute noch erstrahlt. Ich wusste nicht, was mich dazu brachte, noch einmal nach diesen Aufzeichnungen zu greifen, eigentlich konnte ich kaum noch die Augen offen halten, und doch tat ich es. Als ich die lose zusammengerafften Blätter zu mir auf den Schoß zog, fiel ein Blatt zu Boden. Es war der letzte Absatz eines Briefes, den ich laut vorlas.
„Vor zwei Tagen habe ich dem Verwalter aufgetragen, dieses Ding und alle Aufzeichnungen darüber dem Feuer zu übergeben. Alles umsonst. Ich weiß mir keinen Rat mehr, mein Freund. Henderson schwört, dass er meinem Befehl Folge geleistet hat. Mir bleibt keine andere Wahl.“
„Was hast du da?“, fragte Ryan und beugte sich über meine Schulter. „Was zum Teufel ist das?“ Er nahm es mir aus der Hand und las es noch einmal.
„Ich weiß nicht“, sagte ich und blickte zu ihm auf. „Hört sich an wie ein Geständnis, findest du nicht?“
„Alistair McDonnell“, murmelte Ryan, ging zu seinen Unterlagen und zog einen Stammbaum aus dem Stapel. „Das war der Urgroßvater mütterlicherseits.“
„Von wem? Von unserem Duke?“, fragte ich, und Ryan nickte in Gedanken versunken. „Ja“, sagte er und hob den Kopf. „Gute Arbeit, Jo!“
„Hast du Tomaten auf den Augen? Da steht, er hat alles verbrannt.“
„Aye, und was sagt uns das?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Dass wir nichts finden werden?“
„Exakt!“, rief er, setzte sich zu mir und legte eine Hand auf meinen Aktenstapel. „Hast du beim Durchsehen der Unterlagen auf die Datierungen geachtet?“
„Mehr oder weniger“, erwiderte ich, und schließlich fiel der Groschen. „Du meinst …“ Ich starrte den Papierberg an. „Wenn wir wissen, welcher Zeitpunkt hier fehlt, wissen wir auch, wann, hm …wann was?“ Ich hob den Kopf.
„Das weiß ich noch nicht“, antwortete er und lehnte sich im Stuhl zurück. „Aber ich verwette meinen Hintern, dass da der Durchgang zugemauert wurde.“
„Du gehst recht leichtfertig mit deiner Anatomie um.“
Er lächelte mich an. „Keine Sorge, Jo. Meine Anatomie bleibt dir erhalten.“ Ryans Augen verweilten lange auf meinem Gesicht. So lange, bis ich verlegen den Blick abwandte. Ich hörte, wie er tief Luft holte und sich bewegte. „Lass uns morgen weitermachen“, sagte er, legte seine Hand auf meine und lächelte. „Du siehst nämlich so aus, als ob du auch gleich vom Stuhl kippst.“
Nickend erwiderte ich sein Lächeln. „Ja, das könnte gut passieren.“
„Na komm!“ Er zog mich hoch und führte mich in aller Ruhe hinaus.
Weiß Gott, der Tag steckte mir bleischwer in den Knochen. Wie ferngesteuert setzte ich einen Fuß nach dem anderen auf die Stufen des Turms – mit dem tröstlichen Wissen, dass ich, wenn die Stufen aufhörten, im richtigen Stockwerk angelangt war. Als mein Fuß dann tatsächlich ins Leere trat, hob ich den Kopf und blinzelte. Angekommen.
„Übrigens“, sagte ich, als wir vor meiner Tür zum Stehen kamen, unterdrückte ein Gähnen und drehte mich zu ihm. „Entschuldige, dass ich heute früh so unleidlich zu dir war.“
„Sagst du mir auch, warum?“
„Ja, sicher. Morgen.“
Ryan lachte leise, hauchte: „Gute Nacht, Jo!“, und gab mir wieder einen Kuss auf die Wange. Doch diesmal verweilte er einen Moment, so dass ich seinen Atem auf meiner Haut spürte.
Das zweite Gesicht
Der nächste Tag begann mit der Neuigkeit, dass jemand über Nacht einige Steine des Rundbogens vertauscht hatte.
Natürlich legte niemand ein Geständnis ab.
Woraufhin Ryan Milly und ihre Brigaden damit beauftragte, alles Wertvolle entweder wegzutragen oder abzudecken,
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