Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Tante hat es im Speisesaal vorbereitet. Ich glaube, der Tee ist noch warm. Oder möchtest du lieber Kaffee?“
„Kaffee wäre großartig!“, erwiderte ich, und Ailsa lächelte.
„Na, mal sehen, was ich machen kann.“ Sie nahm den Wäschekorb auf ihre Hüfte und lief den Gang hinunter zum Westturm.
Als ich später den Speisesaal betrat, war nur noch Milly MacDonald anwesend, die bereits die Teller und Tassen wieder abräumte.
„Guten Morgen, Miss Bergman! Der junge Lord und seine Freunde sind schon unten“, sagte sie, und es klang wie ein Tadel in meinen Ohren.
„Guten Morgen“, murmelte ich. „Tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich habe einfach viel zu gut geschlafen.“
Sie stellte den Tellerstapel auf einen Servierwagen, richtete sich auf und sah mich an. Dann winkte sie ab. „Ach, das macht nichts. Was möchten Sie essen? Viel ist zwar nicht mehr übrig, aber …“
„Bitte machen Sie sich keine Umstände!“ Ich hatte aus dem Augenwinkel schon die Kaffeekanne entdeckt, aus deren Tülle verlockender Dampf aufstieg. „Ich habe alles.“
Ihr Blick folgte meinem. „Ja, die Kanne hat meine Nichte hergebracht“, sagte sie und hielt kurz inne. Dann lächelte sie gutmütig. „Na, setzen Sie sich erst mal! Ich bringe Ihnen noch frischen Toast. Butter und Marmelade sind hier.“
„Wirklich, Mrs. MacDonald. Das ist nicht nötig.“
„Doch, doch, a laoigh . Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.“ Damit öffnete sie die Tür und schob den Servierwagen hinaus.
Ich schenkte mir Kaffee ein, setzte mich an den Tisch und betrachtete die reich verzierte Stuckdecke.
„Morgen, Schlafmütze!“ Ryan steckte den Kopf zur Tür herein und sah aus, als ob er schon seit Stunden auf den Beinen war.
„Ich wollte dich gerade aus dem Bett jagen.“
„Nein, danke!“, entgegnete ich und musste meinen Ärger darüber, dass er mir den Ausflug in die Galerie vermasselt hatte, unterdrücken. „Ich bin schon eine Weile auf.“
„Habe ich was angestellt?“, fragte er.
„Warum?“
„Du hörst dich an, als ob ich dir den Kaffee versalzen hätte.“
„So, Miss Bergman!“, rief Milly, trat hinter Ryan durch die Tür und stellte einen kleinen Toasthalter auf den Tisch. „Guten Appetit! Ich räume das später ab. Lassen Sie es einfach hier stehen.“
„Danke, Mrs. MacDonald!“, sagte ich und lächelte sie an.
Sie nickte und verschwand wieder durch die Tür.
Ryan hatte die Brauen zusammengezogen und betrachtete mich.
„Was ist?“, fragte ich und griff nach dem Toast.
„Hm …“, meinte er. „Also, wenn du mir das, was ich getan habe, verziehen hast, komm bitte runter. Malcolm hat schon angefangen.“ Er drehte sich um, schüttelte den Kopf, knurrte was von Frauen und ging hinaus.
„Sei nicht so nachtragend, Jo!“, murmelte ich. „Eigentlich kann er ja nichts dafür.“
Von wegen!, sagte meine innere Stimme.
In den Kellergewölben sah es aus wie auf einem Set für einen Horrorfilm. Der Hohlraum, der durch den Einsturz des Rundbogens nun freigelegt war, maß etwa zwei mal drei Meter und wurde rundherum von großen Strahlern erhellt. Der Begriff Krypta kam mir in den Sinn, als ich ihn in diesem Licht betrachtete. Die Seitenwände bestanden aus demselben grauen Bruchstein, mit dem auch die Gänge hier unten gemauert waren, wodurch es den Anschein erweckte, dass der Gang einstmals viel weiter verlief und irgendwann einfach mittendrin zugemauert wurde. Dicke Spinnweben überzogen die Steine, und an einigen Stellen sah es aus, als ob sich das Erdreich einen Weg durch die Spalten und Risse gesucht hätte. Kleine Wurzelenden hingen herab wie die Kabel einer Wandlampe. Am Ende dieser Krypta stand eine aus Lehmziegeln gemauerte Wand, die bis auf ein paar Risse ansonsten intakt aussah. Finn schien das Mauerwerk einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen.
Wie ich sehen konnte, hatten sie die Steine, die zum Rundbogen gehörten, bereits zu einem Großteil aussortiert. „Morgen, Jo!“, sagte Lucas grinsend und lief mit einer Kiste voller Steine an mir vorbei den Gang zurück in Richtung Treppe, während er lauthals den Refrain von James Browns I Feel Good schmetterte.
„Wo will er damit hin?“, fragte ich und blickte ihm nach.
Finn drehte sich um. „In die Haupthalle“, antwortete er und kam zu mir. Er sah aus, als hätte er den Whisky mittlerweile verdaut, nur seine Augen waren noch ein bisschen rot unterlaufen. „Wir haben beschlossen, ihn dort zusammenzusetzen. Hier unten ist
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