Ein Schritt ins Leere
sauste nordwärts, nicht, wie man hätte annehmen sollen, südwärts. Vielleicht eine übertriebene Vorsicht. Ja, er war sogar ziemlich sicher, dass niemand ihm folgte. Nach geraumer Zeit bog er von der großen Landstraße links ab und fuhr auf Umwegen nach Hampshire.
Es war kurz nach dem Tee, als der Bentley die Auffahrt von Merroway Court hinaufglitt, ein steifer, korrekter Chauffeur am Steuer.
«Hallo», warf Frankie leicht hin. «Das ist der Wagen ja.»
Von Sylvia und Roger begleitet, ging sie zur Haustür.
«Alles in Ordnung, Hawkins?»
Der Chauffeur fasste an die Mütze.
«Ja, M’lady. Er ist gründlich überholt worden.» Nun zog er einen Brief aus der Tasche. «Von Seiner Lordschaft, M’lady.»
Frankie nahm das Schreiben.
«Sie werden den Wagen in der Garage in Staverley unterbringen, Hawkins, und im ‹Anglers’ Arms› logieren. Wenn ich das Auto brauche, rufe ich Sie dort an.»
«Sehr wohl, M’lady.»
Bobby wendete und brauste die Auffahrt wieder hinunter.
«Schade, dass wir keinen Platz haben!», bedauerte Sylvia Bassington-ffrench. «Ein herrlicher Wagen übrigens.»
Und Roger ergänzte: «Man kann allerhand aus ihm herausholen.»
«Ja.»
Frankie war hochzufrieden, da sich nicht das leiseste Zittern des Erkennens auf Rogers Gesicht gezeigt hatte. Sie selbst würde Bobby, wenn sie ihm zufällig begegnet wäre, auch kaum erkannt haben. Der kleine Schnurrbart, zusammen mit der dem wirklichen Bobby gänzlich fremden, steifen Gemessenheit, vervollständigte die Verkleidung durch die Chauffeurslivree. Sogar die Stimme hatte Bobby seinem neuen Beruf angepasst, und Lady Frances Derwent fand, dass der vierte Sohn des Pfarrers von Marchbolt ein viel talentierterer Schauspieler war, als sie je vermutet hätte.
Inzwischen bezog Bobby Jones als Edward Hawkins, herrschaftlicher Chauffeur, im «Anglers’ Arms» Quartier. Leider war er hinsichtlich des Benehmens eines Chauffeurs im Privatleben schlecht informiert; doch sagte er sich, dass eine gewisse Hochnäsigkeit nicht schaden könne. Er versuchte, sich als höheres Wesen zu fühlen und dementsprechend zu handeln. Die bewundernde Haltung etlicher weiblicher Hilfskräfte des Gasthofs hatte eine unbedingt ermutigende Wirkung, und bald erfuhr er, dass Frankie und ihr Unfall das Hauptgesprächsthema in Staverley bildeten. Gnädigst geruhte Bobby, von dem Wirt Thomas Askew genauere Auskünfte entgegenzunehmen.
«Der junge Reeves hat alles mit eigenen Augen gesehen», erklärte Thomas Askew. Und Bobby segnete die angeborene Lügenhaftigkeit des Burschen, denn der berühmte Unfall wurde auf diese Weise durch einen Augenzeugen verbürgt.
«Er dachte, sein letztes Stündchen sei gekommen», fuhr der Wirt fort. «Gerade auf ihn los sauste das Auto und dann rammte es die Mauer anstatt Reeves. Geradezu ein Wunder, dass die junge Lady nicht getötet wurde!»
«Sie hat immer Glück, Mr Askew. Aber ich versichere Ihnen, dass ich, wenn Ihre Ladyschaft mich beiseiteschiebt und sich selbst ans Steuer setzt, immer aufs Schlimmste gefasst bin.»
Mehrere anwesende Gäste schüttelten weise ihre Häupter und sagten, dass sie gleich vermutet hätten, die Lady müsse eine leichtsinnige Fahrerin sein.
«Sehr hübsch hier bei Ihnen, Mr Askew», meinte Bobby freundlich und herablassend. «Hübsch und behaglich.»
Thomas Askew nahm dieses Kompliment dankbar entgegen.
«Ist Merroway Court der einzige größere Besitz in der Gegend hier?»
«Dort drüben liegt noch der Birkenhof, Mr Hawkins. Er ist kein richtiger Familienbesitz, hat sogar jahrelang leer gestanden, bis dieser amerikanische Doktor ihn übernahm.»
«Ein amerikanischer Doktor?»
«Ja. Nicholson heißt er. Und wenn Sie mich fragen, Mr Hawkins: Da im Birkenhof geschehen merkwürdige Dinge! Das Ächzen und Stöhnen und Schreien könnte einen Stein erweichen.»
«Warum schreitet denn die Polizei nicht ein?»
«Eh, nach außen hin hat alles seine Ordnung. Nervenkranke, verstehen Sie?» Damit steckte der Wirt sein Gesicht in einen Literkrug, und als er wieder daraus hervortauchte, wiegte er zweifelnd den Kopf.
«Ah, wenn man alles wüsste, was in solchen Anstalten vor sich geht!» Und auch Bobby führte den Zinnkrug zum Mund.
«Sehen Sie, Mr Hawkins», fiel die Schankmamsell eifrig ein, «das sage ich auch. Was geht dort vor? Weshalb riss eines Nachts ein armes junges Geschöpf, nur mit dem Nachthemd bekleidet, aus, und weshalb jagten der Doktor und ein paar Pflegerinnen hinterdrein? ‹Oh, lasst es nicht
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