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Ein Schritt ins Leere

Ein Schritt ins Leere

Titel: Ein Schritt ins Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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bin blind gewesen… blind… blind», sagte Sylvia bitter. «Gewiss, ich wunderte mich über die Veränderung, die mit Henry vor sich gegangen war, aber die Ursache ahnte ich nicht.» Sie schwieg, um dann mit leicht veränderter Stimme fortzufahren: «Nachdem Dr. Nicholson mir die Wahrheit offenbart hatte, suchte ich sofort Henry auf. Bis eben bin ich bei ihm gewesen.» Wieder eine Pause und ein Aufschluchzen, das tapfer bezwungen wurde. «Roger, es wird alles gut werden. Er hat eingewilligt. Morgen schon wird er sich in Dr. Nicholsons Behandlung begeben.»
    «O nein!», riefen Roger und Frankie zur gleichen Zeit.
    Sylvia betrachtete sie abwechselnd – in maßlosem Staunen.
    «Ich habe mir die Geschichte durch den Kopf gehen lassen», fing Roger unbeholfen an, «und die Übersiedlung in den Birkenhof halte ich nicht für gut.»
    «Meinst du, Henry könnte es allein schaffen?»
    «Das nicht. Doch es stehen uns andere Heilanstalten zur Verfügung, die nicht so nahe bei Merroway Court liegen. Mir scheint, dass Henrys Aufenthalt in diesem Bezirk ein Fehler sein würde.»
    «Ganz meiner Meinung», unterstützte Frankie ihn.
    «Oh, ich könnte es nicht ertragen, ihn weit fortzulassen», sagte Sylvia Bassington-ffrench. «Und Dr. Nicholson ist so gütig und verständnisvoll. Ich werde glücklich sein, wenn Henry sich in seiner Obhut befindet.»
    «Ich dachte immer, Nicholson gefiele dir nicht, Sylvia», ließ Roger sich vernehmen.
    «Niemand hätte netter und freundlicher sein können, als er es heute Nachmittag war. Mein albernes Vorurteil ihm gegenüber ist verschwunden.»
    Es trat ein kurzes Schweigen ein, denn weder Roger noch Frankie wussten, was sie in diesem heiklen Moment sagen sollten. Es war Sylvia, die als erste wieder sprach.
    «Der arme Henry! Er brach zusammen, als er merkte, dass ich die Wahrheit kannte, und stimmte mir zu, dass er um meinet- und Tommys willen dieses entsetzliche Laster besiegen müsse. Aber er sagte, ich hätte keine Vorstellung, was das bedeute. Vielleicht hat er Recht», setzte sie schlicht hinzu, «obwohl Dr. Nicholson mir die ganze Tragweite einer Sucht erklärt hat. Es wird eine Art Besessenheit; die Menschen sind nicht mehr für ihre Handlungen verantwortlich zu machen – so stellte er es mir dar. O Roger, es ist so entsetzlich. Doch Nicholson war wirklich rührend. Ich vertraue ihm.»
    «Trotzdem halte ich es für besser…»
    Sylvia trat dicht vor ihn hin.
    «Ich verstehe dich nicht, Roger. Warum diese Sinnesänderung? Noch vor einer halben Stunde warst du Feuer und Flamme für eine Behandlung im Birkenhof.»
    «Nun… ich habe alles nochmal reiflich überlegt…»
    «Mein Entschluss steht jedenfalls fest», unterbrach Sylvia ihn. «Henry wird in den Birkenhof gehen und in kein anderes Sanatorium.»
    «Wie du meinst», gab Roger nach. «Ich will Nicholson, der jetzt daheim sein dürfte, anrufen und das Ganze noch einmal mit ihm besprechen.»
    Ohne eine Entgegnung abzuwarten, wandte er sich um und ging rasch ins Haus, während die beiden Frauen ihm nachblickten.
    «Tatsächlich, ich begreife ihn nicht», sagte Sylvia unmutig. «Vor kurzem noch dieses Drängen, dass der Birkenhof der einzig richtige Ort für Henry sei, und jetzt dieses Sträuben.»
    «Nichtsdestoweniger pflichte ich ihm bei», entgegnete Frankie. «Ich habe mal gelesen, dass sich die Kranken einer solchen Kur niemals in unmittelbarer Nähe ihres Heims unterziehen sollten.»
    «Und ich finde, dass das Unsinn ist.»
    Frankie sah sich in einer Zwickmühle. Sylvias unerwarteter Eigensinn erschwerte die Dinge; sie schien plötzlich ebenso heftig für Nicholson zu sein, wie sie ihn früher abgelehnt hatte. Mit welchen Argumenten konnte man sie bekämpfen…? Frankie schwankte, ob sie Mrs Bassington-ffrench die ganze Geschichte erzählen sollte – aber würde Sylvia ihr glauben? Selbst auf Roger hatte die Theorie von Dr. Nicholsons Schuld wenig Eindruck gemacht, und auf Sylvia, die neue Anhängerin des Doktors, würde sie noch weniger Eindruck machen. Sie wäre womöglich sogar imstande, ihn aufzusuchen und ihm das Ganze zu stecken.
    Ein Eindecker flog ziemlich niedrig über sie hinweg, die Luft mit seinem lauten Motorengetöse erfüllend. Sylvia und Frankie schauten zu ihm empor, froh über die sich bietende Ablenkung. Sie gab Frankie Zeit, ihre Gedanken zu sammeln, und Sylvia Gelegenheit, ihren plötzlichen Ärger zu überwinden.
    Als das Flugzeug jenseits der Bäume verschwand und sein Lärm mit zunehmender Entfernung

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