Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
haben so viele Kinder, dass sie sie alle mit einer Kutsche in die Schule fahren. Wenn es so weit ist, dann gehe ich mit dir bis zur Straße und du kannst mit ihnen fahren. Es wäre doch schön, wenn du mit deinen Freunden zusammen fährst, oder?“
„Miss Hope kann ja mit mir gehen. Dann können wir zusammen lesen lernen.“
Jakob schüttelte den Kopf. „Nein.“
Sie klopfte ihm mit ihrer kleinen Hand auf die Brust. „Papa, du hast mir versprochen, dass ich eins von Milkys Kätzchen behalten darf.“ Als er nickte, griff sie nach seinem Hemdkragen, als wollte sie ihn festhalten. „Ich will keins von Milkys Kätzchen. Ich will Miss Hope behalten und kein Kätzchen!“
Jakob stellte Emmy-Lou auf den Boden und kniete sich neben sie. „Du kannst Hope nicht einfach behalten. Aber schau doch mal, du darfst ein Kätzchen haben.“
Emmy-Lou sah die Kätzchen gar nicht an. Stattdessen beugte sie sich zu ihm und blickte ihm direkt in die Augen. „Warum kann ich Hope nicht behalten?“
Wie ein Pfeil schoss der Schmerz durch seine Brust. Wie kann ich ihr das nur erklären, Herr? Sie ist doch noch viel zu jung, um immer wieder die Menschen zu verlieren, die sie liebt. In ihrem kurzen Leben hatte seine Tochter schon ihre Mutter und ihren Bruder verloren. Und Miriam war auch wieder gegangen. Sie muss unbedingt lernen, dass Hope nicht lange hierbleiben wird, damit es ihr nicht wieder das Herz bricht. „Kusine Miriam musste doch auch wieder gehen. Erinnerst du dich? Sie ist nur gekommen, um uns für eine Weile zu helfen, dann ist sie wieder gegangen. So ist das bei Hope auch – nur dass sie nicht so lange bleiben wird wie Miriam.“
Emmy-Lous Augen schauten ihn verzweifelt an. „Tante Annie geht aber nicht weg, oder?“
„Nein. Sie wird bei uns bleiben. Da kannst du dir ganz sicher sein.“
Die Überzeugung in seiner Stimme vertrieb nur einen Teil ihrer Verunsicherung. „Aber Papa, warum können wir nicht einfach auch Hope –“
„Menschen sind nicht wie Kätzchen. Man kann sie nicht besitzen. Du kannst Hope nicht behalten.“ Der verlorene Ausdruck auf ihrem Gesicht tat ihm sehr weh, aber er musste jetzt hart bleiben. Sonst würde sich Emmy-Lou alles Mögliche erträumen und am Ende, wenn Hope ging, noch verzweifelter sein.
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Kapitel 6
„Ich hab was für dich.“ Leopold Volkner machte sich erst gar nicht die Mühe abzusteigen. Er drückte Konrad Erickson die Zeitung und den Umschlag einfach vom Pferd aus in die Hand.
Konrad nahm die Post an sich. Obwohl er heute eigentlich auch in die Stadt hätte fahren können, war er doch absichtlich zu Hause geblieben, weil er den Brief erwartete. Ja, so war Jakob – verlässlich, ehrlich und vorhersehbar. In dem Umschlag war bestimmt kein Brief. Nur Geld. Doch das musste ja niemand wissen.
Jedes Mal brachte einer der Nachbarn den Brief bei ihm vorbei. Deshalb glaubte auch jeder, dass Annie ihm regelmäßig schrieb. Außerdem war der Brief auch eine deutliche Erinnerung für die Nachbarn, dass Konrad gerade ohne die Hilfe einer Frau auskommen musste. Manchmal kam jemand und brachte eine Schüssel mit etwas Leckerem vorbei, vor allem dann, wenn gerade wieder ein Brief angekommen war. Diese Person ging dann mit einer leeren Schüssel und den neuesten „Nachrichten“ von Annie wieder nach Hause. Konrad streckte den linken Arm aus und nahm die Zeitung in die linke Hand – eine ganz beiläufige Bewegung. Die letzten beiden Finger seiner linken Hand fehlten, doch Konrad hatte diese beiläufigen Bewegungen bis zur Perfektion geübt, sodass niemand den Verlust bemerkte. Mit der rechten Hand drückte er Jakobs Brief gegen seine Brust und lächelte Volkner verlegen an. „Es fällt mir schwer es zuzugeben, aber diese Briefe von meiner Annie ...“ Er räusperte sich.
Leopold Volkner schmunzelte. „Meine Schwester freut sich immer, wenn sie hört, dass es Annie gut geht. Sie ist jetzt schon eine ganze Zeit lang weg, oder?“
Konrad zwang sich zu einem Lächeln. „Eigentlich noch nicht so lange.“ Er konnte einfach nicht zugeben, dass zwischen seiner Frau und ihm etwas nicht stimmte. „Du kennst doch meine weichherzige Frau. Sie ist genau das, was Jakob und seine kleine Tochter gerade brauchen – sie trauern immer noch ziemlich.“ Er schüttelte den Kopf. „Möge Gott uns davor bewahren. Wenn wir erst einmal eine Familie haben, dann wäre ich bestimmt am Boden zerstört, wenn Annie und unser Baby
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