Ein schwarzer Vogel
Eingebung können wir weder zur Vernehmung vor den Geschworenen noch zu einem Kreuzverhör vorladen. Leider können wir Ihr Unterbewußtsein nicht aus Ihnen herausholen und in Cellophan verpackt dem Gericht als Beweisstück vorlegen.«
»Was soll das eigentlich alles?« fragte ich.
Er zögerte einen Moment und sagte dann: »Kommen Sie mit herein.«
Zusammen gingen wir die Stufen hinauf, über den breiten Vorplatz, durch die Tür und betraten die Halle. Auf dem gebohnerten Parkett lagen wertvolle Orientteppiche. Der Raum wurde von einem Kristallkronleuchter erhellt.
Inspektor Buda führte mich nach links durch eine Tür in einen Raum, der gleichzeitig Bibliothek und Arbeitszimmer war. Die Einrichtung war völlig demoliert, die Stühle umgeworfen und zerbrochen, ein Tisch lag auf der Seite, aus einem umgestürzten Tintenfaß war die Tinte auf das Parkett geflossen. Die Teppiche waren zusammengeballt, offensichtlich von Leuten, die miteinander gekämpft hatten. Ein aus einzelnen Borden zusammengesetztes Bücherregal lag auf dem Boden, und die herausgefallenen Bücher waren offenbar bei einem Kampf auf Leben und Tod mit den Füßen umhergestoßen worden. Sie waren auseinandergerissen, und die einzelnen Teile lagen wild umhergestreut. Es sah aus, als sei der Inhalt eines Güterwagens bei einem Zugunglück verstreut worden. Die Tür eines Panzerschrankes stand weit offen, und aus den einzelnen Fächern des Safes waren Papiere auf den Boden geworfen worden, als habe jemand sie in größter Eile herausgerissen.
»Nun?« fragte Inspektor Buda, nachdem er mir Zeit gelassen hatte, mich umzusehen. »Was halten Sie davon?«
»Heißt das, daß ich Ihnen helfen soll?« fragte ich.
Er runzelte verärgert die Stirn.
»Wenn ja«, fuhr ich fort, »möchte ich darauf hinweisen, daß es von außerordentlicher Bedeutung ist, daß der Panzerschrank erst nach dem Kampf geöffnet wurde, also, nachdem Sharpies überwältigt worden war, denn Sie werden bemerkt haben, daß, obwohl die Teppiche zusammengeknüllt und die Möbel umgestürzt sind, die Papiere und Dokumente, die anscheinend eiligst aus dem Panzerschrank gezogen wurden, praktisch unangetastet geblieben sind.«
»Fahren Sie fort«, knurrte Buda.
»Sie werden ferner beobachtet haben, daß dort ein zerrissenes Gummiband und ein Stoß Umschläge liegen, die anscheinend von weiblicher Hand an...« — ich beugte mich nieder und nahm einen der Umschläge auf — »Harry Sharpies, hochwohlgeboren, gerichtet sind. Der Name des Absenders, der auf der oberen linken Ecke des Umschlags steht, nennt eine gewisse Shirley Bruce, deren Wohnung...«
Er riß mir den Umschlag aus der Hand. »Sie haben nichts anzurühren.«
»Die Umschläge«, fuhr ich fort, »scheinen alle leer zu sein. Es gehört
kaum zu den Gewohnheiten, leere Umschläge in einem Panzerschrank aufzubewahren. Daraus läßt sich folgern, daß die Briefe herausgenommen worden sind, nachdem die Briefsammlung aus dem Panzerschrank genommen wurde.«
»Ich möchte von Ihnen Tatsachen, keine Theorien«, unterbrach mich Buda.
»Was für Tatsachen?«
»Wer könnte Harry Sharpies entführt haben?«
Ich hob die Augenbrauen hoch. »Glauben Sie, daß er entführt wurde?«
»Nein«, sagte Buda mit scharfem Hohn. »Er wollte nur mal eben hier abstauben und hatte eine etwas ungeschickte Hand dabei. Das ist alles.«
»Soll das heißen, daß Sharpies verschwunden ist?«
»Genau das.«
»Und wie haben Sie es erfahren?«
»Eines der Hausmädchen rief Sharpies zum Essen. Als er nicht kam, sah sie nach. Sie hat diesen Zustand vorgefunden und hielt es für richtig, die Polizei zu benachrichtigen.«
»Und Sie ließen mich herholen, nur um mich auszufragen.«
»Stimmt. Kennen Sie diese Shirley Bruce?«
Umständlich und mit großen Gesten zog ich mein Taschentuch hervor und breitete es auf dem Tisch aus.
»Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?« fragte Buda.
Stolz wies ich auf die roten Flecken. »Sehen Sie das da?«
»Ja.«
»Das ist«, sagte ich nachdrücklich, »Shirley Bruces Lippenstift.«
Als Buda mich ansah, kämpften auf seinem Gesicht Ärger und Überraschung. »Wie kommt das in Ihr Taschentuch?«
»Sie ist impulsiv«, erklärte ich. »Entweder kann sie jemanden leiden, oder er fällt bei ihr gänzlich ab. Sie gehört zu der Sorte Mädchen, die ihre Freunde liebt und ihre Feinde haßt. Mich konnte sie gleich leiden, als sie mich sah. Ja, sie kann mich sogar gut leiden. Und sie zeigt es, wenn sie jemand leiden
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