Ein schwarzer Vogel
antworten.
»Shirley ist ein anständiges Mädchen«, sagte er, »wirklich ein sehr anständiges Mädchen. Ich werde sie nicht mit Fragen behelligen, wenn es nicht notwendig ist. Vor allem möchte ich nicht den Eindruck erwecken, daß ich mich in ihre Privatangelegenheiten mische.«
»Ich dachte, Sie wollten wissen, warum sie das Kollier verkauft hat?«
»Das will ich auch.«
»Ist das etwa keine Einmischung in die Privatangelegenheiten der jungen Dame?«
»Das sollen Sie ja tun. Deswegen bin ich doch zu Ihnen gekommen.«
»Ach so, ich verstehe«, erwiderte ich trocken.
»Ich komme mir wie ein Schlüssellochgucker vor«, rief er gereizt aus.
Als wir ein paar Straßen weiter waren, bemerkte ich: »Schließlich ist sie bei Cameron doch in guten Händen.«
»Ich fürchte, eben nicht. Sie muß in einer bösen Patsche stecken, wenn sie mich nicht ins Vertrauen gezogen hat. Im Vergleich mit mir ist Bob Cameron für Shirley praktisch ein Fremder. Das heißt... ich meine...Nun, es wäre natürlicher gewesen, daß sie sich an mich wendet, wenn sie in Schwierigkeiten ist.«
Wieder ließ ich eine Weile verstreichen, ehe ich fragte: »Wäre es nicht zweckmäßig, wenn Sie mir noch etwas über Cameron erzählten, bevor ich mit ihm spreche?«
»Es ist mir lieber, wenn Sie nur Zeuge sind. Ich will selbst mit ihm sprechen.«
»Dann haben Sie aber keine Rückzugsmöglichkeit, falls Ihnen etwas entschlüpfen sollte, was er als eine Beleidigung auffassen könnte«, erklärte ich ihm. »Rede dagegen ich, so brauchen Sie nur zuzuhören, und wenn ich zu weit gehen sollte, kann er Ihnen nicht die Schuld geben.«
»Bleiben Sie mir mit Ihren diplomatischen Kniffen vom Hals. Damit bin ich noch nie weitergekommen. Wenn ich etwas erledigen muß, will ich es selbst tun und so schnell wie möglich hinter mich bringen.«
»Vorausgesetzt, daß Sie es mit dem >Tun< auch wirklich erledigen und hinter sich bringen. Das gelingt manchmal nicht. Jedenfalls würde ich gern mehr über Cameron wissen.«
»Bob Cameron ist siebenundfünfzig Jahre alt. In jungen Jahren hat er eine Zeitlang in Goldbergwerken in Klondike gearbeitet. Dann ging er — reich an Erfahrungen im Goldschürfen — in die Wüste, wanderte hinunter nach Yukatan, Guatemala, Panama und kam schließlich nach Kolumbien. In Medellin lernte er Cora Hendricks kennen. Sind Sie einmal dort gewesen?«
»Als Privatdetektiv kommt man nicht viel zum Reisen.«
»Medellin ist eine schöne Stadt. Sie hat ein Klima, das man kaum für möglich halten sollte. Die Temperatur schwankt nie um mehr als fünf oder sechs Grad, weder bei Tag noch bei Nacht, noch im Sommer oder Winter. Ständig liegt sie bei dreißig Grad. Die Menschen dort sind gastfreundlich, entgegenkommend, klug und kultiviert. Sie leben in prachtvollen Häusern mit großen Patios und...«
»Sind Sie damals auch zufällig dort gewesen?« unterbrach ich ihn.
»Ja, wir sind uns alle dort begegnet. Dort lernten wir Cora Hendricks kennen. Nicht in Medellin selbst, sondern in ihrem Bergwerk am Fluß.«
»Und Shirley Bruce?«
»Shirley war natürlich auch da. Mir kommt es vor, als sei es erst gestern gewesen, obwohl es — lassen Sie mich nachdenken —, ja, es muß jetzt zweiundzwanzig Jahre her sein. Cora befand sich gerade auf einem Besuch in den Staaten, als ihre Kusine bei einem Autounfall ums Leben kam. Ihr Mann, Shirleys Vater, war nur ein paar Monate früher an einem Herzschlag gestorben. Cora selbst war nie verheiratet, sie war der Typ der alten Jungfer. Trotzdem nahm sie sich der kleinen Waise an, so wie sie war, und brachte sie mit nach Kolumbien. Sie und die Frau des Verwalters der Mine versorgten das Baby. Wir hingen alle sehr an dem Kind.«
»Arbeiteten Sie alle beim gleichen Bergwerk?«
»Ja und nein. Bob Cameron und ich besaßen eigene Minen in der Nachbarschaft. Es sind große Anlagen, die mit Wasserkraft ausgebeutet werden. Kolumbien ist ein sehr interessantes Land.«
»Und Cora Hendricks starb bald, nachdem sie mit dem Kind zurückgekommen war?«
»Ja, innerhalb von drei oder vier Monaten.«
»Und dann übernahmen Sie die Leitung ihres Bergwerks?«
»Nicht sofort. Cameron und ich fuhren in die Staaten, «m das Vermögen sicherstellen zu lassen. Erst nach einem Jahr kamen wir nach Südamerika zurück. Das Reisen war damals noch nicht so einfach wie heute. Wir waren höchst überrascht, als wir den Umfang des Hendricksschen Vermögens erkannten. Die Treuhänderschaft kam uns völlig unerwartet. Im
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