Ein schwarzer Vogel
erregt. »Es kommt jemand.«
Jetzt vernahm auch ich das Schlurfen von Pantoffeln, die ohne Eile und ohne jede Kraft über den nackten Bretterfußboden näher kamen.
Die Tür wurde geöffnet, und eine rauhe, heisere Frauenstimme fragte: »Wer ist da?«
Diese Stimme verriet vieles. Sie gehörte einem Menschen, mit dem man nicht verhandelte, den man nicht bat, weil er nur auf Befehle zu reagieren gewohnt war. Es mußte ein Mensch sein, den man immer unterdrückt und hin und her gestoßen hatte.
Ich drückte die Tür auf und erklärte: »Wir kommen mal herein, wir wollen mit Ihnen sprechen.«
Widerspruchslos wurden wir eingelassen. Ich ergriff Dona beim Arm und schob sie durch die Tür. Der Geruch von billigem, abgestandenem Fusel schlug uns entgegen. Aus dem Hintergrund des Hauses schimmerte durch eine geöffnete Tür der schwach rötliche Schein einer nackten Glühbirne, die an einer knotigen, graugrünen, von Fliegenschmutz bedeckten Schnur baumelte. Wir gingen auf das Zimmer zu.
Die Bewohnerin des Hauses kam uns ergeben nachgeschlurft. Wir betraten den offenbar einzigen möblierten Raum der Wohnung, der gleichzeitig als Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer diente. Von dem Spülbecken war der letzte Rest Emaille schon lange abgestoßen, es bestand nur noch aus einer Anhäufung rostroter Flecken. Ein paar Stühle in den verschiedensten Stadien des Verfalls standen umher. Die eiserne Bettstelle war einmal weiß gewesen und zeigte jetzt ein trübes, schmutziges Grau. Auf dem Bett lag ein Kissen in einem fleckigen Überzug. Bettlaken waren nicht da, sondern nur dunkle Decken und eine zerrissene und abgenutzte Steppdecke.
Die Frau war in den Schein der Glühbirne getreten. Sie war alt, und man merkte, daß das Leben nicht gerade freundlich mit ihr umgegangen war. Schwere Tränensäcke hingen unter ihren glanzlosen Augen, ihr weißes Haar war strähnig und ungepflegt. Ihr runzliges, dunkles Gesicht mit seinen groben Zügen ließ ihre überwiegend indianische Abstammung erkennen, der ein Schuß spanisches Blut beigemischt war.
Ich deutete auf einen Stuhl und befahl ihr: »Setzen Sie sich«, so, als ob ich der Herr im Hause sei. Sie gehorchte, wie ich ihr geheißen hatte, und sah mich mit ruhiger, gelassener Neugierde an.
Hinter ihr stand unter dem Spülbecken ein Eimer, der bis zum Rand mit Abfällen und Kehricht gefüllt war. Der Hals einer leeren Schnapsflasche ragte daraus hervor. Daneben stand eine weitere, halbleere Flasche.
»Kennen Sie Felipe Murindo?«
Sie nickte langsam mit dem Kopf.
»Seit wann kennen Sie ihn?«
»Er ist mein Sohn.«
»Schickt er Ihnen Geld?«
Zum ersten Male belebten sich ihre trüben, wäßrigen Augen. »Warum wollen Sie das wissen?« fragte sie vorsichtig. »Wer sind Sie?«
»Wer gibt Ihnen noch Geld?« fragte ich weiter.
Sie gab keine Antwort.
»Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen. Es ist eine Schande, daß Sie in dieser Umgebung leben müssen.« Ich deutete mit einer Bewegung meiner Hand durch den Raum.
»Das macht nichts«, erwiderte sie unberührt. »Mir ist es gut genug.«
»Es ist nicht gut genug für Sie«, widersprach ich. »Sie sollten sich besser kleiden, und Sie sollten besseres Essen haben und eine Hilfe für die schwere Arbeit.«
Sie zeigte keinerlei Bewegung. »Das ist nicht nötig«, sagte sie. »Ich habe alles, was ich brauche.«
»Wann waren Sie zum letzten Male in Kolumbien?«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es ist lange her.«
»Es ist schändlich, daß Sie keine Gelegenheit haben, in Ihre Heimat zu reisen und Ihre Verwandten wiederzusehen. Aber wenn Sie wollen, können Sie sich neue Kleider kaufen und ein- oder zweimal im Jahr Kolumbien besuchen.«
Jetzt leuchteten ihre Augen auf. »Wer sind Sie?« fragte sie. »Wie soll das möglich sein?«
»Wenn Sie sich mir anvertrauen, werde ich dafür sorgen. Sie wollen doch nach Kolumbien, oder nicht?«
»Sprechen Sie Spanisch?« fragte sie.
»Ich nicht, aber meine Begleiterin.«
Die alte Frau wandte sich auf spanisch an Dona. Langsam und abgehackt kamen die Worte aus ihrem Munde. Für meine Ohren war es nur ein Geräusch, das mich an das Rattern erinnerte, das entsteht, wenn ein Junge an einem Zaun entlangläuft und dabei mit einem Stock die Latten streift.
»Sie würde sehr gern nach Kolumbien zurückgehen und ihre Heimat und alle Freunde und Verwandten Wiedersehen. Sie hat hier keine Freunde«, übersetzte Dona.
»Dafür kann ich sorgen. Ich vertrete eine Agentur, die derartige Aufträge
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