Ein seltsamer Ort zum Sterben
dem Wasser, schüttelt sich, rennt einen Steg entlang, auf dem ein Junge auf dem Rücken liegt und unter den sich langsam weiterziehenden Wolken döst. Ohne hinzusehen, nimmt der Junge die Flasche und schleudert sie zurück in den Teich. Dann, als der Hund wieder in den Teich springt, erscheinen folgende Worte auf dem Schirm:
Coca-Cola. Summertime
.
So was geht dir nahe! Da kannst du nichts gegen tun! Es packt dich und schlägt eine Saite tief in deinem Innern an! Doch was stellst du mit so einer Idee an? Nichts. Du schickst sie ein, sie klauen sie dir. Und leider habe ich immer noch keine eigene Limonadenfirma.»
Paul sagt nichts. Er hat kein einziges Wort gesagt, seit sie einander begegnet sind. Er hat noch nicht einmal gelächelt.
Aber ein Kind weiß nicht, wie es mit Schweigen umgehen soll. Weiß nichts von der Notwendigkeit, Komödie und Tragödie so eng wie nur menschenmöglich zusammenzuhalten – so nahe, wie Pathos und Worte es eben zulassen –, um so zu versuchen, die Stimmen der Toten zum Schweigen zu bringen. Er ist nur ein kleiner Junge. Die Stille des Entsetzens hüllt ihn ein, dort, wo Worte scheitern und jede Äußerung von der Wirklichkeit abperlt wie ein Regentropfen von der Oberfläche eines Blattes. Er ist nicht alt genug, um sich mit Spielen abzulenken, ist noch nicht in der Lage, Trost im Dialog und im Drama zu finden. Er ist schutzlos. Seine Mutter ist tot. Und deshalb wird Sheldon niemals von seiner Seite weichen.
«Gott schuf die Erde, und er sah, dass es gut war», sagt Sheldon laut. «Schön. Aber wann hat er zum letzten Mal draufgeguckt?», fragt er, während Tom Jerry über den Bildschirm hetzt.
«Okay, ich weiß, was du dir denkst. Du denkst dir, nun, als er draufgeguckt hat, war das noch vor der Sintflut. Bevor Großväterchen Noah seine Arche schnitzte. Doch das ist schon ’ne Weile her. Gott hat alles ausradiert, nur die Arche nicht. Ich finde, er könnte das Ganze mal wieder einer kritischen Prüfung unterziehen. Und uns nicht unbedingt mit derselben unreifen Reaktion abspeisen – wie ein Kind, das eine misslungene Zeichnung zerknüllt und so tut, als wäre das alles nie passiert – und Noah einfach mit einer Frage zurücklassen. Also mit der Frage ‹Warum ich?›. Und da Noah sie nicht beantworten konnte, griff er zur Flasche. Ich persönlich würde mir wünschen, Gott würde eine Entwicklung durchmachen. Mal ein bisschen reifen. Mal Verantwortung übernehmen. Mal seine Schuld eingestehen. Mal öffentlich zugeben, dass er uns vernachlässigt hat. Das Dumme ist bloß: Gott ist allein. Keiner gibt ihm mal ’nen Schubs. Holt ihn zurück auf den Boden. Keine Mrs. Gott. Ich bin nicht der Erste, der so denkt, vermute ich.
Weil du ja der heilige Paulus und ein Theologe und Philosoph und wahrscheinlich der interessanteste Mensch der Geschichte bist, könntest du jetzt sagen: Es ist Gott unmöglich, etwas zu ändern, denn woher soll er wissen, was er falsch gemacht hat? Beinhaltet Allwissenheit auch die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis? Da er doch der Ursprung von allem ist, kann er da überhaupt seine eigenen Handlungen wegleugnen und verurteilen? Woran misst er sich? Was ist sein Maßstab, wenn nicht er selbst?
Aber ich habe da eine Antwort, nett, dass du gefragt hast. Die Antwort liegt in der biblischen Geschichte von der Masturbation. Ich würde das dir gegenüber nicht erwähnen, vor allem weil du noch so klein bist, aber da du kein Englisch verstehst und heute schon Schlimmeres durchgemacht hast, kommt es darauf auch nicht mehr an.
Onan. Wir erinnern uns: Das war der, der seinen Samen auf die Erde fallen ließ. Der Ur-Wichser. Doch was geschah da eigentlich? Onan hatte einen Bruder, und sein Bruder und dessen Frau konnten keine Kinder bekommen. Aus irgendeinem Grund beschließt Gott, dass die Familie ein Kind braucht, und daher – wie es damals Brauch war, als Leute ersetzbar zu sein schienen – befiehlt Gott Onan, ins Zelt seines Bruders zu gehen und seine Schwägerin zu
schtupsen
. Onan aber findet das nicht richtig. Er geht in das Zelt, fängt aber – da er glaubt, Gott könne nicht in Zelte hineinsehen – an zu masturbieren. Lässt seinen Samen also auf die Erde fallen. Als er wieder herauskommt, erzählt er Gott, die Tat sei vollbracht, und zieht von dannen. Gott, wieder mal typisch, wird böse auf Onan. Die Lehre, die unsere judäo-christlichen Gelehrten daraus ziehen, ist, dass Gott Masturbation verabscheut und wir die Finger von unserem Schniedel lassen sollen.
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