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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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praktisch erwiesen hat, um sich in der Stadt zurechtzufinden und herauszubekommen, wonach er sucht.
    Hätte er so was für Nordkorea gehabt, er hätte sich bei seinen Suchexpeditionen nicht so quälen müssen.
    «Wir werden uns den Fettärschen anpassen, werden uns eines der Boote da leihen, und dann fahren wir nach Süden. Ich würde ja nach Norden fahren, aber dann bräuchten wir ein Auto.»
    Sheldon setzt sich auf und schaut, was Paul anhat. Er sieht noch immer aus wie Paddington der Bär ohne den roten Hut.
    «Wir brauchen eine Verkleidung. Los. Der Landgang da wird nicht ewig dauern. Uns bleiben etwa fünfzehn Minuten, um uns das Boot zu schnappen, während die Fetten uns Deckung geben.»
    Mit Paul an der Hand schlägt Sheldon den stadtauswärts führenden Weg ein, vorbei an historischen Kanonen bis zur Ecke der Festung, wo sie auf einem schmalen Weg zu einem gedrungenen steinernen Turm und weiter zum Hafen gelangen.
    Am Kai biegen sie nach rechts ab und schlendern ungezwungen auf das Kreuzfahrschiff zu, wo die farbigen Tupfer sich zu kleinen Gruppen zusammengeballt haben, die in Richtung Norden auf Sheldons vorgebliches Ziel zuströmen.
    «Pass gut auf», sagt er zu Paul.
    Als sie auf eine besonders große und abgelenkte Touristengruppe stoßen, rempelt Sheldon einen von ihnen an und zieht wie nebenbei – mit ungewohnter Gewandtheit – eine dünne orangefarbene Goretex-Jacke aus dem offenen Rucksack. Anstatt sie zu verstecken, streift er sie sofort über, trotz des milden Wetters.
    «Man versteckt sich vor aller Augen. Da kommen sie nie drauf», sagt er zu Paul. «Und jetzt dort hinüber zum Pier.»
    Sheldon und Paul schwimmen mit dem Strom der Landgänger wie Blätter, die auf dem Wasser treiben. Er redet auf Paul ein, während sie zusammen mit den anderen dahinschlurfen.
    «Warum vergleichen die Leute immer die Größe eines heranwachsenden Fötus mit Nahrungsmitteln? ‹Er ist so groß wie eine Limabohne. Wie eine Erbse. Wie eine Kirsche. Wie eine Banane.› Ich find das irgendwie gruselig. Du nicht auch?»
    Paul schaut beim Gehen auf seine Füße. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden hat der Kleine sich im Schrank versteckt. Sheldon ist das durchaus bewusst. Er weiß nur schlicht und ergreifend nicht, wie er damit umgehen soll.
    «Nie heißt es: ‹Er hat die Größe eines kleinen Geldbeutels› oder: ‹Er ist so lang wie ein Parkticket.› Sie denken ans Essen, bevor du bis drei zählen kannst. Da drüben – sieh mal. Da drüben. Das ist unser Ziel. Wir müssen bloß ganz wichtig dreinschauen.»
    Sheldon und Paul schlendern an einem Dreimaster mit Stahlrumpf vorüber und setzen sich dann von dem bunten Haufen der Leute ab. Wie Sträflinge schlüpfen sie am Hafenamt vorbei und gelangen über ein paar Stufen zu einem kleinen Dock. Rechts schaukelt ein leeres Polizeiboot auf dem ruhigen Wasser, direkt vor dem Boot, das Sheldon zu seinem erkoren hat.
    Früher muss es im Rot, Weiß und Blau der norwegischen Flagge geleuchtet haben, aber inzwischen sieht der kleine Kahn heruntergekommen und müde aus. Auf Sheldon wirkt es wie ein leicht überdimensionales Rettungsboot mit kleinem Außenbordmotor am Heck, das direkt über die Pinne gesteuert wird.
    Er schaut auf das Boot und dann kopfschüttelnd zu Paul hinab.
    «Juden dürfen keine Krustentiere essen, wusstest du das? Das war wohl seine Art, uns zu zeigen, dass wir keine Seefahrer sind. Na gut, dann wollen wir mal, wenn’s denn sein muss.»
    Sheldon greift nach einer Leine und zieht das kleine Boot so nah heran, dass sie einsteigen können. Vorsichtig stellt er das eine Bein hinein und streckt dann die Hände nach Paul aus.
    «Komm schon. Es ist okay.»
    Paul macht keinen Schritt nach vorn.
    «Ehrlich, ich war schon mal in einem Boot. Und das hatte nicht mal ’nen Motor. Ich kann das. Ehrlich. Kein Problem. Überhaupt keins. Mehr oder weniger.»
    Was kleine Kinder antrieb und in ihnen vorging, war Sheldon schon immer ein wenig schleierhaft gewesen. Als Saul noch klein war, noch nicht einmal zwei Jahre alt, sprang er aus dem Kinderwagen und rannte wie ein kleiner Betrunkener auf die Kinderschaukel zu.
    Geh-da, geh-da
, rief er dann immer.
    «Du möchtest dahin? Gern. Warum nicht.»
    Dann hob er Saul auf die Schaukel, worauf Saul auf der Stelle in Tränen ausbrach und heftig zu strampeln begann.
    «Es war nicht mein Einfall. Das war deine Idee! Ich bin nur ein menschlicher Gabelstapler! Ich heb dich hoch und setz dich ab. Du sagst, du willst hoch, ich setz

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