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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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dich auf die Schaukel. Jetzt wieder runter? Na gut.»
    Und damit setzte er Saul wieder auf die Erde, was diesen noch wütender machte. Es war diese Art von Benehmen, die Sheldon dem schlechten weiblichen Einfluss zuschrieb.
    Wie kam es, dass Paul erst nicht reinwollte und gleich darauf dann doch?
    Wer weiß. Deshalb.
    Als sie endlich in dem Motorboot sitzen, macht sich Sheldon rasch an die Arbeit. Zum letzten Mal hat er im Training für Korea einen Außenbordmotor kurzgeschlossen. Damals machte es eine Menge Spaß und war Bestandteil der unerwarteten Lektionen, die seine Gruppe erhielt, es gehörte zum «Geländetraining». Der geistige Unterbau kam von seinem Ausbildungsunteroffizier, wie es generell bei Weisheiten ja oft der Fall ist.
    Wir können euch nicht mit einem Gewehr in der Hand aus dem Flugzeug schubsen, euch dann zwanzig Meilen durch feindliches Terrain marschieren lassen, wobei ihr den Kommunistenschweinen und den Wildtieren der Gegend aus dem Weg gehen müsst, nur damit ihr am Ende feststellt, ihr habt den Haustürschlüssel vergessen. Daher bringen wir euch bei, wie man ohne Schlüssel im Leben zurechtkommt. Lektion 1 beginnt mit einem Hammer …
    Lektion 10 (oder so) beinhaltete etwas raffiniertere Techniken, etwa wie man relevante Teile im Antriebskopf eines Motors ausfindig machte oder was man mit dem Hauptkabelstrang machen musste, um den Anlasser direkt von der Batterie aus zu betätigen. Es war kein großes Kunststück, solange es sich um einen einfachen Motor handelte. Und zum Glück war dies hier der Fall.
    Sheldon überprüft den Benzinstand, indem er einen kleinen Schlauch von der Ansaugpumpe bis zu einem Plastiktank an Deck verfolgt. Außen am Tank sind Markierungsstriche. Es sind etwa zehn Liter drin. Es ist ein kleiner Viertakter – was ihm eine größere Reichweite verleiht als den älteren Zweitaktern –, Sheldon schätzt, dass sie damit vier oder fünf Stunden schaffen, was ausreichend Zeit ist. Wo genau sie da landen, kann er nicht sagen, aber das spielt erst mal keine Rolle.
    Als Sheldon gerade überprüft, ob die Zündkerzen intakt sind, geht ein Polizist die Stufen zum Pier herunter und kommt direkt auf sie zu.
    Sheldon nimmt die Plastikplane von dem Zwanzig- PS -Motor, der Polizist geht weiter, ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen.
    «Ich weiß, was du gerade denkst», sagt er zu Paul, während er das Boot startklar macht. «Sehen wir nicht verdächtig aus? Tatsache ist: Nein, sehen wir nicht. Wann hast du zuletzt von einem Zweiundachtzigjährigen mit einer grellorangen Windjacke gehört, der ein Boot klaut, das direkt neben der Polizei festgemacht ist? Noch nie, eben. Es ist undenkbar! Und so kommst du auf diesem Planeten über die Runden. Tu das Unvorstellbare vor aller Augen. Die Leute werden denken, das
muss
etwas anderes sein.»
    Als der Motor knatternd und spuckend startet, bindet Sheldon die Halteleine los und wirft sie auf den Pier.
    «So was in New York zu machen ist allerdings schwieriger. Kommt bestimmt irgend so ’n Klugscheißer und erzählt dir, wie du den Motor zum Laufen bringst, oder fragt dich, wie du es findest, dass die Yankees gegen die Red Sox verloren haben. Willst du wissen, was ich dann antworten würde? Großartig! Denn die Yankees verdienen ’ne Niederlage. Hoffen wir nur, dass uns keiner was auf Norwegisch fragt.»
    Sheldon dreht die Pinne hart Backbord und drückt sanft aufs Gas, worauf sich das Boot vom Dock weg- auf den Oslofjord zubewegt. Er schippert mit ihrem kleinen Gefährt um den Stahlrumpf der Christian Radich und dann hinaus in den tiefen blauen Sund, Oslo und das wenige, was er über dieses seltsame Land weiß, weit hinter sich lassend.

[zur Inhaltsübersicht]
    TEIL II Flussratten
    9. Kapitel
    Auf dem Wasser war Sheldon bislang nur in seiner Phantasie gewesen. Es begann mit Visionen, die er Mabel 1975 beschrieb. Ihre Quelle war sehr anschaulich, wenn auch zum Glück ganz schlicht: ein Brief von Herman Williams, einem von Sauls Kameraden aus dem Boot, der bei ihm war, als er verwundet wurde. Er schilderte die Umstände von Sauls Tod.
    Seine Visionen speisten sich also aus Tatsachen, aber sie waren viel umfangreicher und detaillierter als die Tatsachen, die er kannte. Sie waren schrecklich und lebendig und richtiggehend alles beherrschend und unerbittlich, als Rhea 1976 bei ihnen einzog.
    In dieser Vision patrouillierte Sheldon auf dem Mekong-Delta gemeinsam mit Saul, Herman Williams, Ritchie Jameson, Trevor Evans und dem Captain – einem

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