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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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denkt Lars und schaltet in den vierten Gang. Sheldon wird vermisst, und eine Frau wurde in ihrer Wohnung ermordet. Doch Lars glaubt daran, dass der Mörder gefunden wird, dass Sheldon gefunden wird und dass keine echte Gefahr besteht. Sigrid Ødergård hatte es erklärt. Das waren häusliche Streitigkeiten, die in Gewalt ausarteten und in eine Katastrophe mündeten. Und so entsetzlich es auch war, Rhea musste begreifen, dass es kein willkürlicher Akt der Grausamkeit gewesen ist und sie zu keinem Zeitpunkt in Gefahr geschwebt hatten. Man muss bei so was nicht gleich an Krieg, Völkermord oder die ganze historische Last denken, die sie beinahe zärtlich mit sich herumträgt, dass er sich manchmal fragt, ob sie … in einem anderen Leben … selbst dabei war. Sie hat eine unglaubliche Fähigkeit, diese Welten zu beschreiben.
    Die Art, auf die Juden Geschichte bezeugten, fand Lars schon immer irgendwie beunruhigend. Sie redeten so, als wären sie live dabei gewesen. Seit Ägypten. Seit Anbeginn der westlichen Zivilisation, als die Morgendämmerung von Jerusalem und Athen aus den Westen erleuchtete, Rom einhüllte und alles, was von dem Imperium übrig bleiben sollte. Sie haben die westlichen Stämme und Reiche erstarken und untergehen sehen – von den Babyloniern über die Gallier bis zu den spanischen Mauren, den Habsburgern und Osmanen – und blieben als Einzige übrig. Sie haben alles miterlebt. Und wir anderen, wir warten auf ein Urteil, das nach wie vor erst über uns kommen wird.
    Die Straße verengt sich wieder, und Lars schaltet runter in den zweiten Gang, bringt die Drehzahl auf viertausend und hält die Maschine selbst auf dem Sand am Rand der Straße ruhig, mühelos und leicht zurückgelehnt.
    Ja, die Fehlgeburt, das war scheußlich. Aber niemand hat Schuld daran. Rhea war gesund, ernährte sich gut, rührte keinen Tropfen Wein an und hielt sich von Thunfisch und Blauschimmelkäse fern. Es hat einfach nicht sollen sein. Und sie hat es wesentlich besser verkraftet, als er gedacht hätte. Andererseits gab es da gewisse Momente der Verstörtheit. Vielleicht kennt er sie doch nicht so gut, wie er dachte.
    Doch ist es falsch, den Augenblick zu genießen? Ihre warmen, in Leder gehüllten Schenkel zu spüren, die sich an ihn drängen? Sie sind nicht mehr zusammen mit der Maschine raus, seit sie erfahren haben, dass ein Baby unterwegs ist. Es hatte ihn seine gesamte Überredungskraft gekostet, selbst wieder fahren zu dürfen. Nein, nicht bei Nacht. Niemals nach einem Bier. Ich versuche, nicht bei Regen zu fahren. Ich werde die Lkw-Fahrer nicht anbrüllen und dazu ermutigen, mich zu zermalmen.
    Ich werde mich nicht einmal von Schweden provozieren lassen.
    Trotzdem ist es ein schönes Gefühl, sie jetzt hierzuhaben. Trotz allem. Inmitten des unerwarteten Chaos. Und darum geht es doch schließlich bei einer guten Ehe, oder? Ist das nicht überhaupt der Sinn des Lebens?
    Jetzt ist da nur noch Wald. Die Straße hier sollte gar nicht existieren. Um die Jahrhundertwende war es ein Feldweg, er führte durch ein breites Flusstal und in eine Wildnis, die von den nördlichsten Wanderern der menschlichen Rasse bewohnt wurde. Erst nach dem Krieg wurde er asphaltiert. Von hier aus erstreckt sich Norwegen endlos in Richtung Norden. Hier oben, außerhalb der Stadt, fängt das wahre Skandinavien an. Die Finnen kamen durch diese Schneise herunter, und einige von ihnen ließen sich nieder. Auch aus Schweden kommen neue Bewohner rüber. Die nordischen Stämme marschieren wie Nomaden aneinander vorbei, die Weite der nördlichsten Außenposten liegt offen vor ihnen in ihrer Weite und Wildheit.
    Lars fährt jetzt noch langsamer und biegt auf den kleinen Trampelpfad ab, auf dem er sich im Winter mit Langlaufskiern bewegt. Den Wagen stellt er dann am Straßenrand ab, ein Batterieladegerät und einen Benzinkanister im Kofferraum, alles unverschlossen für den Fall, dass eine arme Seele, einschließlich seiner selbst, eine Zuflucht braucht. In seinen Albträumen sind seine Finger taubgefroren, dass er es nicht bis ins Auto schafft, um die Heizdecke anzuwerfen.
    Knirschend rollt die Maschine über den Kies und dann die gewundene kleine Zufahrt hoch, die gleich darauf in eine weite, sanft ansteigende Wiese übergeht, auf deren Scheitel sich deutlich und klar das rechteckige rote Haus vor dem blauen Himmel abzeichnet.
    Lars gibt ein wenig Gas, um übers Gras zu kommen, und spürt, dass sie beide dasselbe denken. Dann spricht sie es aus, und er

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