Ein silbernes Hufeisen
Gartentor kam, aber es kam niemals soweit. Er tauchte nicht auf.
Dabei war es wohl schon spätestens im Januar abzusehen gewesen, dass sie ihren Verlobten nicht mehr erwarten durfte und ganz nüchtern betrachtet hätte sie eigentlich auch froh darüber sein sollen, denn wäre er gekommen, hätte dies nämlich ganz und gar nicht bedeutet – selbst wenn sie das ihrem Gastgeber gegenüber immer wieder beharrlich behauptete – dass sie mit ihren ursprünglichen Plan, Tony zu heiraten, eiskalt fortgefahren wären. Warum sie dennoch bis Mai wartete, bevor sie beschloss, dass es an der Zeit war, endlich in die Zukunft zu blicken, hatte verschiedene Gründe.
Zum Einen fiel es ihr zunächst schwer, zu akzeptieren, dass Tony scheinbar keinerlei Wert mehr darauf legte, mit ihr zusammen zu sein. Warum hatte er sie derart kampflos aufgegeben, fragte sie sich. In ihrem Brief hatte sie ihn geradezu hemmungslos darum angefleht, zu kommen, und war es nicht stets er gewesen, der weitaus verliebter gewesen war? Was hatte sie ihm denn in ihrer langen Phase der Trennung angetan, dass er sie, seine heftige Hingabe vollkommen vergessend, schändlich in der Wildnis verkommen ließ? Zugegebenermaßen hatte sie ihn ausführlichst betrogen und seine Hufeisenkette lag längst vergessen oben in ihrem Schmuckkästchen, aber jene Fehltritte waren ihm immerhin nicht bekannt. Er hatte also zu kommen, denn er schuldete es ihr. Sie hatte es ihm leicht gemacht und war ihm entgegengekommen, indem sie sich aus dem Haus ihrer Tante hatte befreien lassen, nachdem Tony bereits an dieser ersten Hürde gescheitert war. Im Gegenzug konnte sie mit Verlaub doch nun von ihm verlangen, hier in Italien aufzutauchen, um ihr ewige Liebe zu schwören.
Selbst wenn sie ihm dann wohl gestehen würde müssen, dass es mittlerweile ein kleines Problem für sie beide und ihr zukünftiges Glück gab, und zwar dass sie sich, obwohl sie tatsächlich sehr redlich versucht hatte, ein gutes Mädchen zu sein, wieder Hals über Kopf in ihren schrecklichen besten Freund verliebt hatte, so als wäre es zum ersten Mal geschehen. Sie sah ihn an und sie war schlicht hingerissen, sie wollte ihn den ganzen Tag anfassen, bei ihm sein, Dinge mit ihm unternehmen, ihn küssen, mit ihm reden und keine Sekunde ohne ihn verbringen. Seit dem Dezember gönnte sie sich diesen Komfort schließlich auch immer öfter und mit immer weniger Bedenken, ließ ihn immer näher an sich heran und vergab alles, was sie zuvor getrennt hatte. Nicht sofort und restlos rettete sie sich wieder in seine Arme, ihre Rückkehr ging langsam von statten und dies war auch gut, für sie und für Alex, denn dieser sollte sich nicht zu sehr in seinem typischen Triumph sonnen können, dass er Guinievaire in sein weit entferntes Haus in der Toskana gebracht hatte, damit genau das vorfiel, von dem er gewollt hatte, dass es geschah. Niemals hatte er ihr helfen wollen, wie er es damals in Shropshire großmütig beteuert hatte, aber am Ende war jeglicher Widerstand ganz einfach umsonst gewesen. Sie hätte es wissen müssen, denn sie war schwach, und weil sie ihn zwar liebte, ihm aber auch etwas böse war, ließ sie ihn warten, damit er lernte, und so wartete er bis Mai.
Dabei gestaltete sie ihm jedoch das Warten nicht allzu schrecklich, weil sie ihn mittlerweile nicht mehr quälen konnte, wie sie es lange getan hatte. Meist durfte er sie küssen, wie es ihm gefiel, und an manchen Tagen war es ihm sogar erlaubt, mit ihr zu schlafen und vorzugeben, sie gehöre ihm wieder mit Haut und Haaren. War sie jedoch schlecht aufgelegt, dann stieß sie ihn von sich und beteuerte mit fester Stimme, sie würde ihn sofort vergessen, sobald ihr Verlobter angekommen war. Weil er aber dabei ebenso gut wie sie selbst wusste, dass dies unverschämte Lügen waren, ließ er sie zumeist gewähren, blieb ruhig und blieb geduldig mit ihr. Guinievaire wiederum fasste dadurch beständig mehr Vertrauen, weswegen die Tage, an denen sie ihn nicht liebte, weniger und weniger wurden. Der Kreis schloss sich, dies bemerkte sie, und dennoch zauderte sie lange weiter, viel zu lange, bis in den Mai.
Dass Alex mit ihr wartete, das war klug von ihm, denn nur auf diese Weise konnte Guinievaire ihr Misstrauen ablegen und was hatte er schon zu befürchten? Sie beide wussten inzwischen, dass sein Rivale seine Verlobte aus absolut unerfindlichen Gründen endgültig vergessen hatte und mit der langen Zeit, die Alex sich geduldete, wie es eigentlich sehr untypisch war
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