Ein silbernes Hufeisen
für ihn, bekam er nicht die traurigen Reste seiner Liebsten zurück. Er bekam sie in einer erholten, versöhnten Form, wie sie damals gewesen war als kleines Mädchen, als sie sich ihm zum ersten Mal vollkommen verschrieben hatte.
Und so gaben sie beide vor zu warten, an Weihnachten und an ihrem zwanzigsten Geburtstag, denn sie hatten sich gut arrangiert damit. Sie verbrachten den Winter und den Frühling gemeinsam ohne in einer Sekunde über die Zukunft nachzudenken, meist glücklich, ab und an jedoch auch verzweifelt. Manchmal fühlte Guinievaire sich nämlich doch verlassen und vergessen und verletzt von ihrem untreuen Verlobten, von dem sie sich stets herrlich sicher gewesen war, dass er sie rückhaltlos und vollkommen geliebt hatte. An derartigen Tagen, an denen sein unerklärlicher Verlust sie schmerzte, saß sie am Fenster oder – nachdem es wärmer geworden war – saß sie auf einer Bank vor den Toren, wo sie perfekt den schlanken, verschlungenen Weg überblicken konnte, den jeder Wanderer nehmen musste, und dann starrte sie in die Ferne.
Ob er etwas ahnte von ihrer hinterhältigen Disposition, fragte sie sich dann, oder ob er gar herausgefunden hatte in der Zwischenzeit, dass sie ihn belogen und betrogen hatte, wie es ihr gefallen hatte? Immerhin hatte er sie geliebt, vergöttert geradezu, aber nun hatte er sie im Stich gelassen. Sie bekam, was sie verdiente, rief sie sich dann in ihr Gedächtnis, dann seufzte sie und legte das Kinn in die Hand, im Schatten ihres Baumes wartend. Und dann dachte sie daran, dass sie Alex bekam, der mehr sein musste, als sie verdiente, womit sie sich wiederum in einem neuen, deprimierenden Zwiespalt befand. Auch ihn hatte sie belogen und betrogen. Guinievaire war ein furchtbarer Mensch, diese Tatsache stellte sie aufs Neue fest, während sie wartete.
Warum tat sie das bloß? Käme er, sie wusste genau, sie würde ihn nicht heiraten, sie wartete lediglich auf ihn, wie ein wohlerzogenes Schoßhündchen den Herren an der Türe erwartete, um ihm dann das Herz zu brechen. Was sie tat, war lächerlich und dennoch saß sie auch im Mai noch vor den steinigen Mauern und hielt die müden Augen offen.
Der Tag, an dem es endlich vorüber war, verlief dabei wie die meisten schlechten Tage vor ihm, wobei ihre Fluchtversuche vor die Tür doch immer seltener und seltener geworden waren in den letzten, warmen Wochen. Heute wartete sie jedoch wieder, nachdem sie in Alex‘ Armen aufgewacht war, der in der Nacht in ihr Bett gekommen war, um dort still zu liegen und nichts zu tun außer sie anzusehen. Gemeinsam hatten sie daraufhin gefrühstückt, sie waren glücklich gewesen, sie hatten gelesen und im Garten gesessen, dann hatte sie versucht, seine grausige Fingerhaltung an seinem Cembalo zu korrigieren, war jedoch kläglich gescheitert. In einem Anfall von Panik hatte sie dabei an jenen Vorfall in Hastings House denken müssen, als sie erfahren hatte, dass Alex sie wieder einmal belogen und hintergangen hatte, deswegen hatte sie ihn verlassen müssen und nun saß sie wieder auf der harten, schattigen Bank, während die schmeichelnde Sonne hoch stand, und nichts wollte dabei klar sein in ihrem schweren Kopf.
Er kam nicht, erklärte sie sich wieder einmal, denn warum sollte er? Tony war nicht dumm, warum sollte er sie weiter haben wollen, wo er sie doch auf selten komfortable Art und Weise losgeworden war ohne auch nur ein wenig Schuld auf sich zu laden? Er war ein großartiger Mann, nicht wahr? Er war reich und attraktiv und klug und gütig und umsichtig und vernünftig, aufmerksam und verständnisvoll, die großartigsten Mädchen konnte er also finden, liebevolle, seichte Geschöpfe mit blondem Haar oder brillante Intellektuelle, welche in ihm erkennen würden – im Gegensatz zu ihr – dass er alles war, was eine besonnene Frau sich wünschen konnte. Was war sie im Vergleich zu seinen Möglichkeiten, die Eiskönigin, jenes ausgesprochen komplizierte Mädchen, für welches er niemals der perfekte Mann sein konnte? Schon vor langer Zeit hatte er dies verstanden und hatte deshalb aufgehört, seine Zeit unter der Weide vor ihrem Fenster zu verschwenden, warum also war sie derart albern gewesen, ihm zu schreiben und auf ihn zu hoffen? Hätte sie sich doch mit ihrem Schicksal abgefunden und könnte sie es doch zumindest nun tun, wo alle Chancen doch verpasst waren! Bitter beharrte sie auf ihr Recht. Hatte er es nicht versprochen? Es war unverschämt von ihm, der niemals eine Gefahr gewesen
Weitere Kostenlose Bücher