Ein silbernes Hufeisen
in diesem Augenblick den Weg hinauf käme und sie nach einer beschwerlichen Reise so entdecken würde, in Alexanders Armen? Guinievaire gefiel der Gedanke. Er hätte es von Anfang an wissen müssen. Sie hätte es von Anfang an wissen müssen.
Alexander ließ seinen Blick an seiner zukünftigen Frau hinauf und hinunter wandern und dabei versuchte er, sich angestrengt an die Zeiten zu erinnern, in denen er sie angesehen hatte und dabei nichts weiter empfunden hatte als ein mildes, triebgesteuertes Interesse an ihrem weißen Körper und ihrem Engelsgesicht. Er dachte daran, wie sie ihn früher mit Angst erfüllt und mit etwas Abscheu in den sattgrünen Augen angeblickt hatte und wie sie sich dabei immer wieder voller Ungemach aus seinem Griff gewunden hatte, aber wie er sich gefühlt hatte, was er gedacht hatte, als sie ihm noch nichts bedeutet hatte, es wollte ihm nicht mehr einfallen, egal wie sehr er sich bemühte. Wenn er Guinievaire Hastings heute betrachtete, in diesem Moment zum Beispiel, in dem sie ihn noch nicht einmal Beachtung schenkte, sondern in pragmatischen Gedanken versunken über seine vielen Koffer gebeugt stand und für ihre Abreise packte, obwohl Alex sie immer wieder angefleht hatte, keinen ihrer schlanken Finger zu krümmen, dann sah er so viel mehr als die ahnungslose Debütantin, die ihm vor Jahren glücklicherweise in die Netze gegangen war. Selbst wenn er es so oft verflucht hatte, wenn sie auf jene unglückliche Beschreibung beharrt hatte, sie war tatsächlich seine beste Freundin und der einzige Mensch, bis auf seine Schwestern, Logan und Vicky, an dessen hoher Meinung ihm etwas gelegen war. Mit Guinievaire konnte er reden, stundenlang, über Dinge, über die er mit bisher absolut niemandem gesprochen hatte und dennoch, er erzählte ihr niemals von sich oder von den finsteren Gedanken, die er, Alexander Lovett, der alles hatte, manchmal hegte. In dieser Hinsicht konnte er nicht über seinen Schatten springen, aber dennoch war er egoistisch, wenn er schlechter Stimmung war. Er klammerte sich an Guinievaire fest, ließ sie nicht fort und dann ging es ihm besser. Sie saß geduldig neben ihm, strich mit ihren kühlen Fingerspitzen durch sein Haar und Alexander hatte immer das Gefühl, sie wisse genau, warum er sie brauchte. Dieses Wesen, das sie für andere war, sie war es nicht für ihn, nicht mehr, seit einigen Tagen. Nun war Guinievaire wieder sein Kätzchen, seine hingebungsvolle Liebste, die ihn jeden strahlenden Morgen mit einem sanften Lächeln und weichen Küssen weckte, die seine kalten Hände hielt, die keine Sekunde ohne ihn verbrachte und ihm dabei immer und immer wieder ins Ohr flüsterte, was er am liebsten hörte: wie sehr sie ihn anbetete. Alles war wieder ganz so, wie es früher einmal gewesen war, was bedeutete, dass es inzwischen sogar schwer war, sich an die lange, schmerzhafte Zeit zu erinnern, die vergangen war, welche sie jedoch nicht in ihrem Himmel zu zweit sondern getrennt voneinander verbracht hatten. Im Grunde hatte Alex zwei Leben, er lebte in zwei Welten und er war zwei Personen: zum Einen war er Lord Lovett, der viel Geld geerbt und zwei Schwestern aufgezogen hatte, den man bewunderte und dessen Eltern früh gestorben waren, dem es deswegen schlecht ging und der ein grauenhafter Mensch war, obwohl er es eigentlich besser wusste. Der sein Leben hasste und es an anderen ausließ und dem nichts wirklich etwas bedeutete, nicht sein Haus, nicht seine Mitmenschen, nicht er selbst, der jedoch all dies immer meisterlich hatte verstecken können. In der zweiten Welt für den zweiten Lord Lovett in seinem zweiten Leben, das erst mit zwanzig Jahren begonnen hatte, gab es nur einen einzigen anderen Menschen und bei diesem war er gesund und glücklich. Wenn er dort war, wenn er bei Guinievaire war, dann war es leicht, die Vergangenheit zu vergessen oder zumindest war es bisher immer leicht gewesen. Von der Sekunde an, in der er das erste Mal neben ihr aufgewacht war, hatte alles andere nicht nur an Bedeutung verloren, es war nichtig geworden. Sie hätten gut leben können in ihrer Blase, aber die sorgenvolle und die sorgenfreie Welt hatten irgendwann damit begonnen, sich zu vermischen und selbst in diesem Augenblick, in dem Guinievaire seinen Verlobungsring trug, weil sie sich tatsächlich mit ihm verlobt hatte und in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer ihre Heimreise als verheiratetes Paar vorbereitete, war Alexander sich noch nicht sicher, ob er wirklich wieder zurück war
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