Ein silbernes Hufeisen
Augen.
„Wie hätte ich das tun sollen?“ zischte sie. „Ich saß einen Monat lang in meinem Zimmer.“
Überheblich hob Vicky die dichten Brauen und trank, während Azrael ausgesprochen gefesselt schien von diesem typisch weiblichen Austausch gut versteckter Bösartigkeiten.
„Bisher habt ihr immer einen Weg gefunden,“ war die beiläufige Antwort ihrer Freundin. „Meine Mutter hätte übrigens gerne, dass du ein wenig spielst. Ich habe Noten oben in meinem Zimmer. Sie werden natürlich zu einfach sein für dich, aber sieh sie dir durch,“ forderte sie dann, dabei warf sie Guinievaire über den Rand ihres hübsch geschliffenen Glases einen langen, bedeutsamen Blick zu, den ihre Freundin, selbst wenn sie sich nicht leiden mochten im Augenblick, sehr gut verstand, genau wie ihre Worte: zum einen hatte Vicky ihrem Missmut darüber Ausdruck verliehen, dass Guinievaire die bessere Pianistin war, obwohl Vicky sie für intellektuell unterlegen hielt und fand, dass sie den bildenden Künsten nicht mit dem angemessenen Ernst begegnete, aber außerdem hatte sie ihr auch vermitteln wollen, dass es etwas in ihrem Zimmer in einem abgelegenen Flügel dieses durch und durch cremefarbenem Hauses gab, das sie mehr interessieren würde als die Aufgabe, die schwatzhafte Festgemeinde mit ihrem brillanten Spiel zu unterhalten. Guinievaire nickte also und reichte Azrael ihr gründlich geleertes Punschglas.
In Liszts Sonata, von der sie beschloss, sie später zu spielen, fand Guinievaire schließlich Tonys Brief, nachdem sie ihrem Vater empört zugeraunt hatte, sie wolle ins Bad und hätte deswegen nicht das geringste Interesse daran, dass er ihr folgte. Als sie das kurze Schreiben aufschlug und auf die vertrauten, kantigen Buchstaben ihres Verlobten hinab sah, wurde sie dabei sofort etwas wehmütig und sie vermisste ihn, seine warmen Worte und sein Verständnis, seinen Trost und seine Treue. Obwohl sie ihn niemals wissen ließ, was sie bekümmerte, so hielt er doch immer ihre Hand und bemühte sich um sie. Wie gerne würde sie ihn wiedersehen, nun, wo alle anderen Freunde Guinievaire im Stich gelassen hatten!
Was er ihr geschrieben hatte, das war kein Liebesbrief, die Zeilen waren sogar in einem außergewöhnlich nüchternen Tonus verfasst und sie enthielten einen voll ausgereiften und wohl durchdachten Plan, der zugleich überraschend simpel war und Guinievaire, die sich in diesen einsamen Minuten entschlossen fühlte wie selten zuvor, dennoch unendlich gut gefiel: Tony schrieb, dass er in der Silvesternacht mit ihr fliehen wollte, wenn die Straßen überfüllt waren. Ihr Vater, so hatte Vicky ihn wissen lassen, war zu diesem Anlass, wie jedes Jahr, zu Gast bei den Andertons und Guinievaire würde er nicht mit sich nehmen, weil auch der Marquis sein Kommen angekündigt hatte, der das ungezogene Fräulein Hastings um keinen Preis sehen wollte, nachdem sie ihn vollendet bloßgestellt hatte. Um genau halb zwölf würde Tony auf Guinievaire warten auf seinem schnellsten Pferd vor ihrem Haus, um dann eilig aus der Stadt zu flüchten nach Cornwall, wo ein Priester, der ein alter Freund von Tonys Vater war, sich bereit erklärt hatte, den beiden unglücklichen Liebenden zu helfen und sie zu trauen. Ein wenig war sie beeindruckt von Tonys präziser und mühevoller Arbeit und davon, dass er sich offenbar an Vicky gewandt hatte, die ihn nicht leiden mochte und gegen die er ebenfalls eine kleine Abneigung hegte, um alles zu tun, um seine Verlobte wiedersehen zu können. Er hatte nicht bedacht – aber dies konnte sie ihm kaum zum Vorwurf machen – dass Mr Hastings ein sehr kranker und widerwärtiger Mann war und dass er deswegen seine Tochter in ihr Zimmer sperren würde, wenn er sie alleine im Haus zurückließ, aber dies stellte dennoch kein wirkliches Problem dar, denn wenn Guinievaire es wollte und es musste, dann konnte sie sich durchaus aus ihrem Gefängnis befreien. Bisher war ihr aber die bloße Vorstellung meist zu anstrengend und zu unbequem gewesen, und außerdem hatte sie warten wollen bis Tony die Initiative ergriff. Wäre sie vor seiner Türe aufgetaucht und er hätte in der Zeit ihrer Trennung lange seine Meinung geändert, wie sehr hätte er sie dann gedemütigt! Nun aber waren sie sich einig geworden und nun würde es geschehen, wie er es vorgeschlagen hatte, damit er stolz auf sich und seinen rettenden Plan sein konnte.
Nachdem sie ihn zweimal gründlich gelesen hatte, zerriss Guinievaire seinen Brief schließlich
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