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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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menschenleer. Es war eiskalt, der dichte Atem des Pferdes schien den Weg zu erleuchten, während seine Hufe auf das nasse Pflaster schlugen wie ein Feuerwerk. Alles an Tony musste verdächtig erscheinen und dennoch, er war nicht nervös. Aus den Häusern, an denen er vorbei ritt, klang mal ein Piano, mal wurde gesungen. Ganz London trank, lachte und feierte das vergangene Jahr, zugleich begierig darauf, das neue schon bald zu beginnen und auch Tony hatte große Erwartungen und war voller Zuversicht. Während die letzten Wochen beschwerlich gewesen waren ohne Guinievaire, sollte sich heute Nacht alles wieder zum Guten wenden. Vor einem halben Jahr hatte er seine Verlobte kennen gelernt, dachte er glücklich.
    Guinievaire war kein sonderlich sentimentaler Mensch, trotzdem musste sie sich bemühen, beim Gedanken an die letzten zwölf Monate nicht ein wenig rührselig zu werden, ob nun im positiven oder negativen Sinne, dies war ihr nicht voll und ganz klar, als sie vor den spitzen Toren von Hastings House auf ihren Verlobten wartete. Letztes Silvester hatte sie beschlossen, dass sie ihr Leben, welches damals vollkommen außer Kontrolle geraten war, wieder ordnen musste. War ihr dies gelungen? Nun, sie war gerade im Begriff, aus dem Haus ihrer Kindheit zu fliehen, um einen Mann zu heiraten, den sie lächerliche sechs Monate kannte. Die Antwort auf ihre Frage musste wohl ohne Zweifel Nein lauten.
    Tonys Herz machte einen beinahe schmerzhaft großen Sprung, als er schließlich die dunklen Umrisse seiner Verlobten auf der Straße ausmachen konnte. Er wusste sofort, dass sie es war: sie trug einen tiefschwarzen Mantel, eine Kapuze über ihr leuchtendes Haar gezogen, und etwas weiße Spitze lugte unter den vielen samtenen Falten hervor. Es war perfekt, genau wie man sich eine nächtliche Flucht vorzustellen hatte, denn Guinievaire achtete stets darauf, dass ihr Leben und das ihrer Lieben einer einzigen, aufregenden, dramatischen Aufführung glich. Natürlich war Tony beeindruckt. Und natürlich würde er diesen Moment, wie sie es wollte, niemals wieder vergessen können.
    Als er sie endlich erreicht hatte, zügelte er das Pferd und streckte wortlos eine gezwungenermaßen ruhige Hand aus, um ihr auf den Rücken des Tieres zu helfen. Wortlos nahm sie dann vor Tony Platz, wobei ihre Schulter sich in seine Brust bohrte, er küsste überglücklich ihre Stirne und schlang einen Arm um ihre Hüfte. Nachdem er sie so lange nicht gesehen hatte, war er wie in einem Rausch. War sie schon immer so hübsch gewesen?
    „Du siehst wundervoll aus,“ flüsterte er, woraufhin sie seufzte und sich gegen ihn lehnte, dabei fühlte sie sich beunruhigend kalt an. Darüber klagte sie oft, dass ihr kalt war, denn es schien kaum Blut durch ihre anämischen Adern zu fließen, so bleich und weiß wie sie war.
    „Das interessiert mich heute ausnahmsweise einmal nur zweitrangig,“ murmelte sie als Antwort.
    Sie kamen unerwartet schnell voran, Guinievaires exklusive Nachbarschaft hatten sie bereits hinter sich gelassen, und die Straßen blieben auch weiterhin stumm, selbst als sie durch belebtere Viertel ritten. Die Straßenlaternen waren dort längst erloschen. Dies war keine klare Nacht, der Himmel war verhangen, es drohte zu regnen oder gar zu schneien, und niemand schien sich deshalb zu interessieren für die seltsamen Gestalten auf dem glänzenden Pferd im dunklen Nebel.
    „Bist du nervös?“ wollte Tony wissen.
    Guinievaire lachte leise. „Schrecklich nervös sogar.“
    Beruhigend legte er eine Hand um die ihre, denn er war weiterhin vollkommen ruhig. Sie war hier, sie kam mit ihm, niemand wusste, was sie vorhatten. Wie sollten sie nun noch scheitern, wo sie doch schon so weit gekommen waren?
    „Sobald wir die Stadt verlassen haben, ist alles gut. Und morgen um diese Zeit sind wir bereits verheiratet,“ erklärte er seiner zitternden Verlobten mit fester Stimme.
    Als sie durch Straßen ritten, in denen kleine, dicht gedrängte Häuser ihren Weg säumten, füllten sich diese nun doch langsam wieder mit Menschen, die aus ihren Wohnungen gekommen waren, um den großen Höhepunkt der Nacht trotz des scheußlichen Wetters nicht zu verpassen: sie wollten das neue Jahr willkommen heißen, sie wollten einen Neubeginn wagen. Nur noch eine halbe Stunde, nur noch wenige Vorstädte lagen vor ihnen, dann waren sie endgültig in Sicherheit. Von den Stadtgrenzen aus konnte immerhin niemand mehr wissen, welchen Weg sie genommen hatten. Tony war also

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