Ein silbernes Hufeisen
als er endlich bequem saß. „Ich denke, wir könnten den Amerikanern erzählen, du wärest meine Schwester.“
Guinievaire war nicht zufrieden mit diesem Entgegenkommen. „Ich möchte nicht deine Schwester sein,“ protestierte sie sofort, dabei hatte sie sich nun ebenfalls erhoben und war langsam hinüber gekommen zu ihrem Bett, wo sie sich auf das weiche Kissen am Kopfende platzierte und selbst nach ihrem Etui griff. Umsichtigerweise bot sie Marion eine ihrer letzten Zigaretten an, bevor sie sich selbst eine entzündete mithilfe eines ebenfalls sehr kostbaren, silbernen Feuerzeugs, das sie unter ihrer aufgeschlagenen Lektüre gefunden hatte. Auch hier gab es eine kryptische Botschaft im Silber: Da mi basia mille . Weil er nicht gerne rauchte, lehnte er ab, aber er sah gerne dabei zu, wie sie den eleganten Dunst ein- und ausatmete. Langsam drückte ihre Brust sich dabei gegen ihr rosa Kleid. Zuvor war ihm dies noch niemals wirklich aufgefallen, oder etwa doch?
„Warum nicht?“ fragte er sie herausfordernd. „Du hättest es gut als meine Schwester, weißt du? Andere Mädchen würden alles darum geben, meine Schwester spielen zu dürfen, glaube mir, das habe ich schon sehr oft zu hören bekommen.“
Fröhlich lachte Guinievaire über seine Scherze, wobei sie den Kopf auf die Seite neigte als sei es offensichtlich, worauf sie abzielte. Dennoch antwortete sie nicht direkt auf seine Frage. „Wir kaufen dir teure, hübsche Anzüge und du lässt dein Haar ein wenig wachsen,“ überlegte sie stattdessen. „Sie alle werden vollkommen verrückt nach dir sein. Ich bin vollkommen verrückt nach dir.“
Als sie eben dieses unerhörte Geständnis machte, streckte sie einen ihrer schmalen Füße in einem dünnen, weißen Seidenstrumpf aus, um ihre Zehen an Marions Bein hinauf und hinab gleiten zu lassen, wobei sie nicht eben subtil in ihrer Vorgehensweise war, aber sie schien sich dessen nicht zu schämen. Sie flatterte die Wimpern und blickte ihm direkt in die Augen.
Nun flirtete sie definitiv mit ihm, beschloss er deshalb und hob die Augenbrauen, abwägend, was er wohl tun sollte. Zum einem wollte er nicht wirklich, dass sie aufhörte, aber es wäre auch dumm, ließe er sie gewähren. Wie sie ihn ansah aus ihren grünen, hübschen Augen, gab sie Marion jeden Grund dazu, zu befürchten, sie habe sich verliebt in ihn, womit sie gefährlich wäre, genau wie er es befürchtet hatte. Was sollte er immerhin anfangen mit einem reichen Mädchen in seinem Alter, das aufrichtige Gefühle für ihn hegte?
„Ich sollte gehen,“ war seine brillante Antwort auf ihre klugen Avancen, weswegen seine kleine Freundin etwas verwirrt dreinblickte. Marion ließ ihr jedoch keine Zeit für eventuelle Proteste, stattdessen erhob er sich sofort mit einem Seufzen und suchte in seiner Tasche nach dem Schlüssel zur Türe. Guinievaire seufzte derweil lediglich, stand ebenfalls auf und gab ihm zum Abschied eine wortlose, feste Umarmung.
Dies war ein herrlicher Ort, unvorstellbar grün und unendlich weit, ganz anders als London und dabei um so vieles besser. Man konnte atmen hier und man konnte vergessen, was in der Stadt unerträglich schwer auf den Schultern lastete. Stundenlang konnte man die verschlungenen, kleinen Wege durch Wälder und Felder abreiten, während die Sonne beständig und sehr freundlich schien, wobei es noch außergewöhnlich früh war im Jahr für einen derart angenehmen Frühling. Wenn Tony auf der Terrasse von Hatsfield Park stand, dann konnte er all dies sehen, jeden Morgen, die Weite und die Unberührtheit des Landes, und dann fühlte er sich kräftig und zuversichtlich, wo er in London verzweifelt, erschöpft und wie eine Saite angespannt gewesen war. Er hatte sie nicht finden können, sagte er sich jeden Morgen, wenn er die frische Luft genoss, es war unmöglich gewesen, weshalb er sich keine Vorwürfe machen musste. Es war das Beste für sie und für ihn, ganz einfach zu warten bis ihr Vater Gnade walten ließ, und dann würden sie ihr Glück erneut versuchen. Denn natürlich liebte er sie noch immer und er wollte sie noch immer heiraten, er vermisste sie schrecklich, und er sehnte sich nach ihr Tag um Tag, aber diese Gefühle, sie richteten ihn auch zu Grunde, war er ab sofort nicht etwas behutsamer mit ihnen. Denn er konnte sie derzeit nicht sehen und nicht haben, wie sollte er sich also besser fühlen, wenn er sich nach ihr verzehrte? Dieser Urlaub war eine richtige Entscheidung für ihn gewesen, sprach
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