Ein silbernes Hufeisen
Wochen. Als er also die vertraute Türe zu ihrer Dachkammer öffnete und eintrat – diesmal ohne zuvor warnend zu klopfen, weil Marion doch nun, wo er sie nackt gesehen hatte, kaum noch Rücksicht auf ihre Privatsphäre nehmen musste – saß seine liebe Freundin ausnahmsweise einmal nicht an ihrem Fenster. Dabei war der heutige Tag wieder einmal strahlend schön und sonnig, weswegen sie das Wetter, zumindest so weit es ihr möglich war, hätte genießen können. Stattdessen hatte sie jedoch auf dem Boden Platz genommen, wo sie all ihre teuren Kleider um sich herum geschart hatte und sich mit einem nachdenklichen und hoch konzentrierten Gesicht durch die Unzahl an kostbaren Seidenroben arbeitete. Sobald sie ihn, der so leise wie möglich eingetreten war, jedoch bemerkte, erhob sie sich sofort mit einem erfreuten, wenn auch etwas reumütigen Lächeln und strich sich eilig etwas Staub von ihrem zart lilafarbenen Rock.
„Marion!“ rief sie dabei in einer merkwürdig hohen Stimme. „Es ist wirklich schön, dich zu sehen,“ fügte sie dann vorsichtig hinzu, dabei verschränkte sie die Hände vor sich und wartete nervös auf seine Reaktion.
Er musste derweil ein breites Lächeln zurückhalten, denn derart zurückhaltend und artig hatte er Guinievaire, die genau wusste, dass sie für ihr Verhalten ihm gegenüber eine Strafe oder zumindest eine strenge Ansprache mit einigen Vorhaltungen verdient hatte, noch niemals zuvor erlebt. Mit gesenktem Kopf ging Marion an ihr vorbei, steckte die Hände in die Hosentaschen und nahm auf ihrem Bett Platz. „Wir müssen reden,“ kündigte er dabei schwermütig an.
Guinievaires weiche Mundwinkel zuckten, aber sie nickte weiterhin gehorsam. Marion wies sie mit einer kurzen Geste an, sich neben ihn zu setzen, was sie widerspruchslos tat, um dann stumm auf ihre langen Hände zu starren.
„Ich habe nur eine Frage,“ fuhr er fort und bemühte sich wirklich redlich darum, bedeutungsschwer und verletzt und vielleicht sogar ein wenig unterdrückt wütend zu klingen, aber Guinievaire, die derart überzeugend die schuldbewusste Sünderin spielte, machte dieses Unterfangen nicht eben leicht für ihn. Sie nickte währenddessen eilig und sah ihn mit großen, grünen Augen voller Erwartung an. „Wie war ich?“
Ihr Kopf zuckte merkwürdig für den kleinen Bruchteil einer Sekunde und ihre hübschen Augen weiteten sich, während sie zweimal überrascht die Wimpern klimperte. Marion musste nun endgültig lachen, und als Guinievaire endlich verstand, dass er sie nur ein wenig quälen hatte wollen, stimmte sie mit ein, seufzte und schlug ihm dabei spielerisch gegen den Oberarm.
„Ha ha,“ machte sie beleidigt, dann verschränkte sie die Arme. „Bist du denn nicht böse auf mich?“ wollte sie wissen.
Marion zuckte die Schultern und winkte desinteressiert ab, denn er war es ganz einfach nicht. Warum sollte er? „Meinst du etwa, weil du mich belogen und mich beinahe um meine Stelle gebracht hast, nur weil du dich endlich wieder zu deinem kurz gewachsenen Verlobten fliehen wolltest? Nein, deswegen bin ich nicht böse.“
Guinievaire warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Warum nicht?“ fragte sie etwas entgeistert nach.
Nun, tatsächlich hatte Marion lange das Gefühl gehabt, er solle böse auf sie sein, weil sie ausgesprochen rücksichtslos mit ihm umgesprungen war. Wenn man es jedoch recht bedachte, so war am Ende nichts Schlimmes vorgefallen war und er hatte sie noch rechtzeitig ihrer Intrige überführt. Zudem hatte sie ihn wegen ihres Verlobten niemals wirklich belogen, sie hatte ihn lediglich über eine lange Zeit verschwiegen. Und außerdem war Marion ebenfalls nicht in der besten Position, um seine Freundin Guinievaire zu verurteilen.
„Weil ich im Gegenzug vorhatte, deine angeblichen Gefühle für mich und deine kostbare Herkunft schamlos auszunutzen, um dich hin und wieder in mein Bett zu holen und mich selbst weit weg von zu Hause zu bereichern, nur um dich so schnell wie möglich in einem fremden Land loszuwerden, sollte ich ein anderes, interessanteres Mädchen treffen,“ erklärte er ihr nüchtern, woraufhin sie ihn für einen Augenblick lang aufmerksam musterte, dann jedoch den Kopf auf die Seite legte und dann sogar lächelte.
„Du bist genauso niederträchtig wie ich,“ stellte sie zufrieden fest.
Marion hob schuldbewusst die Augenbrauen, währenddessen glitt Guinievaire wieder hinab auf den splitternden Holzboden und fuhr mit ihrer merkwürdigen Arbeit fort. Er
Weitere Kostenlose Bücher