Ein silbernes Hufeisen
war ihr ebenso wenig böse, weil sie nun doch nicht gemeinsam von diesem Ort geflohen waren. Immerhin könnte er sehr wohl auch allein gehen, wenn dies tatsächlich sein Wunsch war, aber Marion hatte seine Fluchtpläne fürs Erste verschoben, denn im Augenblick schien es ihm auch hier in Shropshire ganz plötzlich außergewöhnlich interessant zu sein. In den letzten Wochen hatte er seine Gefangene und ihren Liebsten stets gut im Auge behalten – manchmal saßen sie einander stundenlang gegenüber und starrten sich über viele Meter Luftlinie hinweg bedeutungsvoll an. Marion wollte etwas mehr über sie wissen.
„Also,“ begann er deshalb seine neugierige Befragung, nun wo die Fronten erst einmal zufriedenstellend geklärt waren. „Wer ist der junge Mann, der so gerne auf meiner Gartenmauer sitzt und dich anhimmelt?“
Guinievaire faltete in diesem Moment ein rosa Kleid zusammen und legte es behutsam auf einen Stapel in einem ihrer aufgeklappten Lederkoffer, wobei Marion bemerken musste, dass sie auch heute wieder besonders hübsch aussah und außerdem bemerkte er, dass er sie gerne anfassen wollte. „Das ist Anthony Ford, mein Verlobter, wie ich bereits erwähnte,“ beantwortete sie ihm bereitwillig seine Frage in einem unbekümmerten Tonfall, als erzähle sie Marion eine kleine Geschichte, die ganz und gar nichts mit ihr zu tun hatte.
„Ist er auch der Grund dafür, dass ich deine Gesellschaft genießen darf?“ fragte er weiter, dabei bewegte er sich ein wenig auf ihrem weichen Bett zurück, das sie wie immer nicht gemacht hatte und das Marion selbstverständlich an seinen letzten Besuch bei Guinievaire erinnerte, um sich gegen die warme Wand zu lehnen.
„Ja, das ist er,“ entgegnete sie, weiterhin in jenem seltsam geschäftsmäßigen Ton. „Er war meinem Vater nicht prestigeträchtig genug, also hat er uns seinen Segen verweigert, und als wir zusammen weglaufen wollte, hat er uns unglücklicherweise ertappt und nun sitze ich hier und muss für meinen Ungehorsam bitter büßen.“
„Er ist nicht prestigeträchtig?“ fragte Marion aufmerksam, aber kaum überrascht, denn er hatte immerhin hin und wieder einen Blick aus der Ferne auf Anthony Ford riskiert und hatte ihn dabei für absolut unpassend für Guinievaire befunden – zumindest was sein Äußerliches anbetraf, weswegen er geglaubt hatte, dass der junge Mann wenigstens im Geld schwimmen oder einen prunkvollen Adelstitel tragen würde.
„Seinem Vater gehört eine Pferdezucht,“ erläuterte Guinievaire, die dabei ein mit lächerlich vielen Rüschen beladenes, hellblaues Kleid liebevoll durch ihre Finger gleiten ließ. Marion meinte, so etwas wie eine Spur von Ekel in ihrer Stimme erkennen zu können. „Er war früher mein Reitlehrer.“
Marion hob auf diese Antwort hin unzufrieden eine Augenbraue. Ein Muster schien sich in Guinievaires Eroberungen bemerkbar zu machen und er musste gestehen, er fand es ein wenig enttäuschend. „Weißt du, ich will nicht unhöflich sein, aber ich hatte mir den Mann an deiner Seite etwas anders vorgestellt,“ bemerkte Marion deshalb, wobei er ein besonderes Gewicht auf das ‚deiner‘ legte. Guinievaire war immerhin eine luxuriöse Ausführung ihrer Spezies, er fand, man musste sie erst einmal verdient haben, bevor man sich ihren Verlobten schimpfte.
Die Gefangene seufzte mit einem kleinen Lächeln. Nach wie vor hielt sie diese Wolke von einem Kleid in den langen Händen. „Er sollte groß und gut aussehend sein, nicht wahr?“ sagte sie. „Reich und adelig, charmant und populär, ich weiß. Aber ich bin mit Tony zusammen, gerade weil er nicht so ist, wie man es erwartet.“
Wie ausgesprochen langweilig, dachte Marion. Tatsächlich war er sogar ein wenig enttäuscht von Guinievaire, denn er hätte niemals gedacht, dass dieses Mädchen in jemand derart Trivialen heftig verliebt sein könnte. Nun, korrigierte er sich in seinem Kopf wieder selbst, so heftig konnte sie wohl doch nicht in ihn verliebt sein, immerhin hatte sie ihn rücksichtslos betrogen: sie hatte mit Marion geschlafen, was wohl Teil eines ausgeklügelten Planes gewesen war, aber dennoch, Marion war anwesend gewesen und er war fest davon überzeugt, dass sie es auch getan hatte, weil sie es gewollt hatte und allein, um sich zu amüsieren, und zudem glaubte er auch, dass sie sich dank ihm gut amüsiert hatte. Von Schuldgefühlen war nicht die geringste Spur gewesen, und auch wenn er sie gerade in diesem Moment ansah, suchte er diese
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