Ein silbernes Hufeisen
sie gewartet hatte und dem sie mit Hilfe eines simplen, zufälligen Loses zugeteilt worden war. Dies war die Geschichte, wie sie Lord Alexander Lovett kennengelernt hatte, wie sie zum ersten Mal seine kalten Finger gehalten hatte und sie erinnerte sich gerne daran, selbst wenn in diesen Augenblicken kaum Zeit dafür war, sentimental und rührselig zu werden.
Was nun oberste Priorität haben musste, das war ihr Gespräch mit Tony, welches Guinievaire so schnell wie nur irgend möglich erledigt wissen wollte, bevor sie sich dann wieder Alex widmete, vorausgesetzt er wartete noch so lange auf sie. Missmutig verfluchte sie ihre ungünstige Situation, während sie sich eilig durch die vertrauten Gestalten drängte. Als sie einen Kellner mit einem Tablett passierte, hielt sie jedoch kurz inne, um eines der bunten Gläser zu greifen, frustriert wie sie war, und seinen Inhalt dann in einem traurigen Zug ihre Kehle hinabzustürzen, noch bevor sie hatte prüfen können, worum es sich überhaupt handelte. Es schmeckte schrecklich süß, aber zugleich auch sehr stark nach Alkohol, womit es seinen Zweck glücklicherweise nicht verfehlte. Das geschliffene Glas stellte sie dann auf einem kleinen, überladenen Tisch neben den gläsernen Türen ab, die hinaus auf die Terrasse des Crown führten, nachdem sie den Blick noch einmal prüfend nach links und nach rechts hatte schweifen lassen. Weil es viel zu kalt war an diesem Abend befand sich niemand dort, und die Stühle waren sorgfältig auf die geschwungenen Tische gestapelten worden, an denen man im Sommer sitzen konnte, um dabei auf eine belebte Straße in einem sündhaft teuren Einkaufsviertel der Stadt, einer Guinievaire bestens bekannten Welt also, zu blicken. Tony wartete nicht hier auf sie, denn man hätte sie weiterhin durch die Fenster erkennen können. Links, wo die erhöhte Terrasse um die Ecke des prachtvollen Hotels bog, um dann in breiten, niedrigen Steinstufen in einen kleinen Garten hinauszulaufen, der schließlich durch einen offenen, schwarzen Gusseisenzaun zurück auf eine andere, breitere, aber zugleich wesentlich ruhigere Straße führte, die von Geschäftsgebäuden oder geräumigen Stadthäusern gesäumt wurde, dort saß er, den Rücken ihr zugewandt, auf einer der Stufen neben dem kalten Geländer und sah auf seine Uhr, die Minuten zählend bis sie auftauchte. Guinievaire verdrehte die Augen. Sie war müde und er war zu anstrengend, zudem realisierte sie erst in diesen Augenblicken, dass sie unglücklicherweise ihre Jacke vergessen hatte und nun bereits damit begann, bitterlich zu frieren. Dennoch, weil sie es musste, steuerte sie entschlossen auf ihn zu und nahm schließlich neben ihm Platz.
Wie sehr sie sich in diesem Moment doch wünschte, überhaupt nicht hier zu sein! Sie wollte sich nicht anhören, was er ihr zu sagen hatte, sie wollte lediglich schnell nach Hause fahren, obwohl es eigentlich nicht sonderlich spät war und die Nacht noch jung. Sie wollte auch mit niemandem mehr sprechen oder streiten müssen, sie wollte nach Hause in ihr hübsches Zimmer und dort wollte sie sich ein einziges Mal ihre grauenhaft unbequeme Unterwäsche ausziehen und sie nicht gegen ein dünnes Spitzennachthemd, sondern gegen einen dicken Schlafanzug aus Flanell tauschen. Sie wollte sich ihr Gesicht waschen, den schweren, spitzen Schmuck ablegen, ihre Haare auskämmen und dann schlafen, einfach schlafen, lange schlafen, am Besten neun oder zehn Stunden lang, damit sie endlich wieder Kraft hatte für den nächsten Tag und für all die unüberschaubaren Probleme, die ihrer harrten. Stattdessen saß sie aber hier, auf altem, kaltem Stein, hatte wieder einmal zu viel Alkohol getrunken, hatte dabei zudem nichts gegessen und dennoch war ihr Korsett so eng, dass sie kaum atmen konnte. Tony wusste von ihren schrecklichen Leiden nichts. Er kannte nur die schöne Hülle und den Schein und dies war auch das Beste war für ihn, denn er behauptete zwar oft, er wolle sie richtig kennen lernen, ließe sie dies aber zu, würde er schnell fliehen vor ihr. Und obwohl Guinievaire sehr wohl wusste, dass sie ihn loswerden musste, so wollte sie doch nicht, dass sie ihn verlor, weil sie sich seiner als unwürdig erwies. Es sollte ihre bewusste Entscheidung sein und nicht etwa die seine, dass sie sich wieder voneinander trennten.
Tony lächelte, als sie sich zu ihm gesellte, aber er küsste sie nicht. Während Guinievaire die Arme um die Knie schlang in einem verzweifelten Versuch, sich etwas zu
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