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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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sehnlichst vermisste, und wusste nicht, was sie tun sollte.
    Nun, sie wusste es noch nicht, denn Guinievaire dachte natürlich fieberhaft und ständig darüber nach, wie sie sich aus eigener Kraft befreien könnte und zugleich war sie doch verzweifelt und mehr als skeptisch, denn wie zum Teufel sollte sie eine Flucht bewerkstelligen? Marion würde nicht noch einmal auf sie hereinfallen, wo er sie doch mittlerweile ausgesprochen gut kannte, und vermutlich würde sie es auch nicht schaffen, ihn ganz einfach bewusstlos zu schlagen, wenn er das nächste Mal bei ihr war, denn körperliche Gewalt lag Guinievaire mehr als fern – sie arbeitete seit jeher viel lieber mit seelischer.
    Verdammter Tony, befand sie dann immer wieder gerne, wenn sie keine Auswege mehr wusste, wie hatte er sie im Stich lassen können? War er es nicht gewesen, der die stets unbedingt hatte haben wollen? Er hatte sie angebetet und er hatte sie damals angefleht, ihn zu heiraten, wieso sollte er ausgerechnet jetzt daran scheitern, sie aus diesem kleinen, harmlosen Haus herauszuholen? Warum traf er sich nicht mit Marion oder einem der anderen Hausangestellten? Warum brach er nicht ganz einfach ein und sägte ihre Türe auf? Guinievaire hätte sich schon zwanzig mal befreit, wäre sie an seiner Stelle gewesen. Leider war sie jedoch stattdessen an ihrer Stelle und dies bedeutete, dass sie im Grunde nur noch eine einzige, sehr traurige Möglichkeit hatte: sie musste ihrem Vater schreiben und sich entschuldigen. Sie musste ihn wissen lassen, dass sie endlich bereit war, alles zu tun, was er von ihr verlangte, wenn er sie nur endlich entließ. Dies war eine bittere Niederlage und Guinievaire graute allein schon bei dem Gedanken, wie sie diesen Brief verfasste und welch unterwürfige Worte sie würde wählen müssen, aber sie musste wohl endgültig einsehen, dass sie ihren Vater unterschätzt hatte: er war doch sehr gut in diesem Spiel und Shropshire war ein herausragender Schachzug gewesen. Guinievaire musste also aufgeben. Lange hatte sie sich gewehrt und nun musste sie anerkennen, dass sie verloren hatte.
    Was für ein Gedanke! Guinievaire war grauenhaft gelaunt und nicht nur das, sie war auch tödlich beleidigt und schrecklich verletzt. Immerhin hatte sie sich mit Tony verlobt, weil sie geglaubt hatte, dass sie ihm immer vertrauen konnte, und nun, was hatte er getan für sie? Nun saß sie an ihrem sonnigen Fenster, starrte auf die leere Weide hinter der verlassenen Mauer und weinte. Eine kleine Stimme, eine, die sie nur sehr selten hörte und die man wohl als Stimme der Vernunft bezeichnen konnte, flüsterte ihr dabei etwas zu, das sie ganz und gar nicht hören wollte: du hast es nicht anders verdient. Du hast ihn nicht verdient und nun bezahlst du dafür, was du ihm angetan hast von der ersten Minute an, die ihr euch kanntet. Diese Stimme hatte unbestreitbar recht.
    Plötzlich konnte sie das leise Klicken des Schlosses hören und wie sich Marions alter Schlüssel sanft darin drehte. Merkwürdig, dass er heute kam, denn war heute nicht sein freier Tag? Üblicherweise freute Guinievaire sich stets sehr über seine Gesellschaft, denn er vertrieb ihr die Zeit mit seinen widerwilligen Liebesleiden und seiner geübten Art zu küssen, aber heute mochte sie ihn nicht sehen, wo sie sich doch in einem derart instabilen, emotionalen Zustand befand. Auf keinen Fall durfte er sie weinen sehen, eilig wischte sie sich also die albernen Tränen aus ihren Augen und von ihren Wangen, legte das Kinn in die Hand und stierte weiter entschlossen durch die Scheiben, während sie seine seltsam entschlossenen Schritte auf ihrem Parkett hören konnte. Er hatte nicht geklopft, wie er es sonst stets tat, bemerkte sie dabei. Was wollte er ausgerechnet in diesem Augenblick von ihr?
    „Ist meine Tante nicht zu Hause?“ murmelte sie übellaunig in ihre Handfläche, weigerte sich aber weiterhin ihn anzusehen. Sie wusste genau, wie er aussah, was sehr gut war, aber sein hübsches Gesicht erinnerte sie heute lediglich daran, was sie ihrem Verlobten mit voller Absicht und vollendeter Rücksichtslosigkeit angetan hatte.
    „Doch, das ist sie, sie sitzt im Wohnzimmer,“ antwortete eine unerwartete Stimme. „Und was ist dies bloß für ein schrecklicher Empfang, Liebling?“
    Er hatte gerade einmal die Hälfte dieses Satzes gesagt, da war Guinievaire bereits aufgesprungen und hatte sich mit einem spitzen Schrei in seine langen Arme geworfen, wobei er lachte, und er hob sie hoch und

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