Ein sinnlicher Schuft
»Schuppen«, informierte ihn der kleine Mann flüsternd. Gab es wirklich eine Welt, in der die Menschen sich über solche Dinge Sorgen machten? Es erschien ihm bizarr, doch dieser Tag hatte ja ohnehin etwas Irreales.
Der Bischof räusperte sich, und Colin sah Chantal an Dr. Bennetts Arm den Mittelgang herunterkommen. Sie trug ein Kleid aus pfirsichfarbener Seide, in dem sie ganz anders wirkte als in den dramatischen Farben, die sie normalerweise bevorzugte.
Sie war blass, aber dennoch sehr hübsch. Das perfekte Bild einer zarten, nervösen Braut. Wann war er immun gegen solch offensichtliche Schönheit geworden? Früher verkörperte Chantal für ihn alles, was an einer Frau erlesen und kostbar und schön sein konnte. Und das tat sie zweifellos ungeachtet ihrer Krankheit nach wie vor, nur dass ihn ihr makelloses Gesicht inzwischen kaltließ.
Ebenmäßige Züge waren ein Geschenk oder eine Laune der Natur, und Chantal hatte sich völlig darauf verlassen und nichts getan, um ihren Geist oder ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Charakterzüge wie Ehrlichkeit, Ehrbarkeit, Mut und Intelligenz fehlten völlig bei diesem perfekten Abziehbild. Irgendwie kam Chantal ihm vor wie ein Kunstprodukt, wie eine zum Leben erweckte Puppe. Seelenlos.
Ihre blauen Augen glühten wie der Abendhimmel, aber das Lächeln, das sie ihm schenkte, war falsch. Diese Ehe würde sich nicht gut entwickeln. Doch was tat das zur Sache? In wenigen Augenblicken wäre Melody fast so legitim, als würde sie erst im nächsten Jahr auf die Welt kommen, und alle Türen schienen sich in diesem Moment für sie zu öffnen.
Und das war jedes Opfer wert.
Chantal kam bei Colin an und nahm ihren Platz an seiner Seite ein. Dr. Bennett und Lementeur traten einen Schritt zurück, während das Brautpaar sich dem Bischof zuwandte. Als die ersten Worte der Trauformel erklangen, verspürte Colin zwar unendliches Bedauern, doch er nahm Chantals Hand in die seine und öffnete den Mund. »Ich gelobe…«
»Was?« Melody schrie so laut auf, dass Button zusammenzuckte und auf dem Sofa, auf dem sie beide saßen, von ihr abrückte. »Er hat Chantal geheiratet? Wie konnte er nur? Was war mit Pru? Mit Evan? Mit mir?«
Button schaute sie an. »Ich sehe, dass diese Geschichte nicht unbedingt angetan ist, Ihre Nervosität hinsichtlich Ihrer eigenen Hochzeit zu mindern, Lady Melody. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Sie sich anziehen.«
»Nein! Nein, bitte, Button. Ich muss es wissen. Wirklich. Ich verhalte mich auch ganz ruhig.« Sie strich ihren Morgenrock glatt und zauberte einen gelassenen Ausdruck auf ihr Gesicht. »Sehen Sie? Ganz ruhig.«
»Hm.« Sein Blick war skeptisch, aber er rutschte wieder auf seinen Platz neben ihr und erlaubte ihr, ihren Arm über seine Schulter zu legen.
»Na gut. Wo waren wir gerade?«
»Colin und Chantal heiraten.«
»Tun sie das? Nun, wir wollen sehen…«
Colin holte tief Luft. »Ich gelobe…«
Lärm an der Kirchentür übertönte seine Worte. Alle Gesichter drehten sich zum Eingang, wo ein schlanker Mann wild gestikulierend den Mittelgang herabeilte. Zunächst konnte Colin ihn gegen das Licht, das durch die geöffnete Tür hereinfiel, nicht richtig erkennen, aber der Gang kam ihm bekannt vor.
In diesem Moment kreischte Chantal bereits laut auf: »Bertie!« Dann drückte sie ihren Brautstrauß in Lementeurs Hände und rannte den Mittelgang hinab, den sie gerade erst heraufgekommen war, und direkt in Lord Bertram Ardmores ausgebreitete Arme. Dr. Bennett eilte ihr hinterher. »Miss Marchant, Sie müssen achtgeben auf Ihre Gesundheit– Sie wissen doch, dass Sie sich nicht so aufregen dürfen.«
Chantal allerdings wirkte mit einem Mal völlig gesund und küsste den schönen Bertie, ohne zwischendurch Luft zu holen. Und der strafte alle Gerüchte über ihn Lügen und widmete sich ebenfalls leidenschaftlich seiner Geliebten, denn das schien sie ja ganz offensichtlich zu sein. Jedenfalls lag eine seiner eleganten Hände besitzergreifend auf ihrem Hinterteil.
Colin schüttelte den Kopf. »Man sollte nicht alles glauben, was man so hört«, murmelte er.
Und Lementeur, der ebenfalls das Liebespaar aufmerksam beobachtete, wunderte sich ebenfalls. »Selbst ich hätte bei ihm danebengetippt, Sir.«
Dann harrten sie geduldig vor dem Altar der Dinge, die da kommen würden, während der Bischof seinem Ärger Luft machte. »Sir«, zischte er Bertie an, »Sie befinden sich im Hause Gottes.«
»Seien Sie nett zu ihm«, flüsterte Colin ihm
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