Ein skandaloeser Kuss
Ball sein?“
„Oh ja. Sie ist derzeit unser Gast in Granshire Hall.“
Lord Sturmpole verzog die Lippen zu etwas, das vermutlich ein Lächeln sein sollte. „Wie schön. Ich möchte sie zu gern kennenlernen und fragen, wie es ihrem Vater dieser Tage so geht.“
Bromwell stapfte die Treppe zum Stadthaus seines Vaters hinauf. Vor ein paar Stunden hatte er seinen Vortrag über die Phoneutria nigriventer gehalten. Wie stets, waren die Gentlemen der Linné-Gesellschaft seinen Ausführungen voller Interesse gefolgt, doch als er die Eigenschaften des gefährlichen Spinnentiers in allen Einzelheiten erläutert hatte, war bei ihm selber der zündende Funke ausgeblieben. Die gewohnte Begeisterung, der leidenschaftliche Drang, Sachverhalte zu erhellen und zu erklären, der sich sonst immer einstellte, hatte ihn nicht gepackt.
Er hatte sich gefühlt wie jemand, der auf Weihnachten wartet, um dann zu erfahren, dass es auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Aber er kannte den Grund.
Trotz Drurys Hilfsangebot und seiner Versicherung, dass ihre Schwierigkeiten mit Lord Sturmpole ohne große Probleme gelöst werden konnten, ging Miss Springley ihm nicht aus dem Kopf. Ihr Zusammensein, die Küsse, die sie getauscht hatten, ihre Umarmungen, Miss Springleys schönes Gesicht – all das beschäftigte ihn, wenn er wach war, und erst recht im Schlaf.
Die letzten Nächte hatte er immer wieder von ihr geträumt, wie sie den hura tanzte, den sinnlichen, erotischen Tanz, der auf Tahiti den Frauen vorbehalten war. Im Traum hatte er ihre perfekten Brüste gesehen, hatte davon geträumt, wie sie die Arme in einer anmutigen Bewegung über den Kopf erhob und dann langsam und verheißend mit den Hüften zu kreisen begann.
Und bis auf den Brautschleier und ihre Pantalettes war sie nackt gewesen.
Er hatte gehofft, dass solche Gedanken und Träume mit zeitlichem und räumlichem Abstand verschwinden würden. Stattdessen machte er die Erfahrung, dass das alte Sprichwort von der Liebe, die durch Ferne wächst, zu stimmen schien.
„Danke, Millstone“, sagte er geistesabwesend, als der Butler ihm die Tür öffnete.
„Sie haben Besuch, Mylord“, erwiderte der Bedienstete ernst. „Ich habe ihn in den Salon geführt.“
Bromwell reichte dem Butler seinen Hut. Flüchtig fiel ihm auf, dass das gute Stück dem, der bei dem Kutschenunfall zerdrückt worden war, praktisch bis aufs Haar glich, und er erinnerte sich an Miss Springleys ungläubige Reaktion, als er ihr gesagt hatte, dass er die Spinne darin aufbewahrte. Genauso gut hätte er behaupten können, er habe das Tier verspeist.
Er nahm sich zusammen und wandte seine Aufmerksamkeit Millstone und dem unverhofften Besuch zu. Vielleicht war einer der Gentlemen, die er um finanzielle Unterstützung seiner Expedition gebeten hatte, gekommen, um ihm die Antwort persönlich zu geben, und wenn, dann war das ein gutes Zeichen. „Wer ist es?“
Ehe der Butler antworten konnte, tauchte Drury an der Tür zum Salon auf.
Als Bromwell seinen Freund erblickte, begann sein Herz schneller zu klopfen, allerdings nicht vor Freude. Sie waren am nächsten Tag mit Jamie St. Claire verabredet. Dass Drury heute bei ihm auftauchte und noch dazu eine derart grimmige Miene zur Schau trug, verhieß nichts Gutes.
Der Freund indes wirkte gelassen wie üblich, als er den Butler ansprach: „Millstone, wenn Sie der Köchin bitte ausrichten würden, dass ich zum Dinner bleibe, sofern Seine Lordschaft nichts dagegen hat?“
Bromwell war viel zu begierig herauszufinden, was Drury hergeführt hatte, als dass er sein Einverständnis wortreich hätte kundtun wollen. Daher nickte er nur, packte Drury beim Ärmel und zog ihn in den Salon.
„Kein Grund, die Nerven zu verlieren.“ Drury schloss die Tür des exquisit ausgestatteten Raums. Lord Granshire verbrachte nicht viel Zeit in seinem Londoner Stadthaus, doch wenn er hier war, legte er Wert auf seinen gewohnten Luxus.
„Von Nerven verlieren kann keine Rede sein“, protestierte Bromwell, obwohl er befürchtete, dass genau das im nächsten Moment passieren würde. „Was ist los? Miss Springley …?“
„Befindet sich in Granshire Hall und in Sicherheit, soweit ich weiß.“
Erleichterung durchflutete Bromwell, allerdings nur kurz. Er runzelte die Stirn „Ist Juliette …?“
„Ihr geht es gut.“
„Ist etwas mit Charlie? Oder Brix oder Edmond?“
„Nein, alle unsere Freunde und ihre Lieben sind wohlauf“, beruhigte ihn Drury. „Aber es gibt da eine
Weitere Kostenlose Bücher