Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
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»Haben Sie sich etwa eingeredet, dass es allein Ihre freie Entscheidung war, London zu verlassen. Ohne jeden Zwang?«
»Selbstverständlich, denn ich habe nichts anderes getan, als eine seit Langem bestehende Einladung anzunehmen. Ganz im Gegensatz zu Ihnen«, fügte sie trocken hinzu. »Sie sind schließlich völlig ungebeten hier aufgetaucht.«
»O nein, ich war schon seit einer Ewigkeit eingeladen, persönlich sogar. Mein Glück in diesem Fall.« Er grinste breit, doch sie tat ihm den Gefallen nicht zurückzulächeln, obwohl kurz ein amüsierter Ausdruck über ihr Gesicht huschte. Bei ihr versagte offenbar sein legendärer Charme, den die jungen Damen liebten und die Mütter fürchteten. Susanna wich wirklich komplett von seinem üblichen Beuteschema ab.
»Und was haben Sie jetzt vor?«, fragte sie.
Wenigstens machte sie aus ihrer Neugier keinen Hehl, dachte Leo. »Wenn ich es Ihnen erzähle, wäre ich nicht mehr im Vorteil.«
»Sie sind nicht im Vorteil, Mr Wade. Sie versuchen nichts anderes, als Beweise zu sammeln, um eine skandalöse Wette zu gewinnen. Warum sollte ich Ihnen dabei helfen?«
»Natürlich nicht, das wäre schließlich nicht Sinn der Wette. Aber irgendwann werden Sie preisgeben müssen, was in jener Nacht vorgefallen ist. Ich glaube, es ging da um ein Gemälde, und Sie waren …«
»Bitte, schweigen Sie.« Sie schenkte den anderen Gästen ein ablenkendes Lächeln. »Ich rede nicht darüber, weil ich nicht möchte, dass uns jemand zufällig belauscht. Klatsch und Tratsch machen nur allzu schnell die Runde.«
»Dann stellen Sie sich schon mal auf viele heimliche Unterhaltungen ein, Susanna. Ich befinde mich nämlich nicht nur im Wettstreit mit zwei von meinen Freunden« – er senkte die Stimme zu einem heiseren Raunen –, »sondern ich messe ich mich auch mit Ihnen.«
Zwar konnte keiner der anderen Gäste ein Wort von ihrer Unterhaltung verstehen, doch alle sahen aus, als würden sie auf der Lauer liegen. Zudem kamen Lord und Lady Greenwich soeben an ihnen vorbei. Sie bedachten Leo mit missbilligenden Blicken, Susanna mit eher mitleidigen. Was ihn kaum wunderte. Allerdings war er überrascht, dass es Susanna nicht zu berühren schien. Völlig gleichmütig ging sie weiter an seinem Arm und setzte das Gespräch fort, sobald die Greenwichs außer Hörweite waren. »Ich lege keinen Wert darauf, mich mit Ihnen zu messen, Mr Wade.«
»Das ist deutlich daran zu erkennen, wie überstürzt Sie aus London geflüchtet sind.«
Sie musterte ihn mit der Nachsicht, wie man sie einem unverbesserlichen Kind gegenüber an den Tag legt. »Glauben Sie doch, was Sie wollen. Es wird nur beweisen, wie überheblich Sie sind.«
»Natürlich haben Sie nicht als Einzige die Flucht ergriffen.« Als sie nichts sagte, fuhr er fort: »Ihre Schwester Rebecca scheint sich mysteriöserweise spontan entschlossen haben, plötzlich eine alte Verwandte zu besuchen.«
»Daran ist überhaupt nichts Mysteriöses. Unserer Großtante Rianette geht es nicht gut, und Rebecca stattet ihr deshalb einen Pflichtbesuch ab.«
»Während Sie sich bei einer Landpartie amüsieren.«
»Wenn Sie mich auch nur im Mindesten kennen würden, Mr Wade, wüssten Sie, dass ›amüsieren‹ das völlig falsche Wort ist.«
Er musterte sie voller Neugier. Damen der ersten Gesellschaft – und dazu gehörte Susanna als Enkelin eines Duke – lebten gewöhnlich für solche gesellschaftlichen Anlässe. Wieder einmal merkte er, wie anders Susanna war. Ganz und gar keine typische Vertreterin ihrer Schicht.
»Machen Sie sich denn keine Sorgen um das Wohlergehen Ihrer Schwester? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Julian ihr gefolgt ist.«
Susanna blinzelte, als sie ihn ansah. »Das glaube ich nicht. Der Earl of Parkhurst ist viel zu beschäftigt, um …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, ließ die Worte in der Luft hängen.
»Wegen einer Wette, meinen Sie?« Er grinste. »Das ist doch nichts Anstößiges. Andere Sachen hingegen …«
Sie kniff ihn in den Arm, und er lachte vergnügt. »Wir müssen uns irgendwann ausführlicher über alles unterhalten, aber ich bin bereit, mich in Geduld zu fassen«, meinte er. »Wie ich schon sagte: Julian ist auf diese Wette, die wir nicht weiter benennen wollen, bereitwillig eingegangen. Was mich überrascht hat, muss ich gestehen. Er neigt sonst eher nicht den gleichen leichtfertigen Vergnügungen zu wie ich.«
Ihre Mundwinkel zuckten, doch er wusste es nicht zu deuten. War es ein Zeichen für
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