Ein Sommer mit Danica
bringen.
»Wer sind Sie?« fragte er und zeigte mit ausgestreckter Hand auf Corell.
»Endlich!« brüllte Robic wieder dazwischen. »Jetzt sag es ihm, Söhnchen! Wenn's gleich stinkt, hat er sich in die Hosen geschissen.«
»Ich bin Dr. Alexander Corell.« Er trat noch einen Schritt vor, und sofort folgte ihm Danica. »Arzt …«
»Aha!« Der Hauptmann zog das Kinn an. Etwas unangenehm Warmes überrieselte ihn … die Ahnung einer Katastrophe. »Arzt? Sie? Können Sie das beweisen?«
»Ja. Mein Paß, bitte …«
Corell hielt seinen Paß über den Tisch. Der Hauptmann nahm ihn mit spitzen Fingern, warf einen Blick auf die Eintragungen und ließ ihn dann auf die Tischplatte fallen. »Es stimmt! Wieso sehen Sie dann so aus?«
»Wie soll er aussehen?« schrie Robic aus dem Hintergrund. »Ist ein Mensch nur ein Mensch, wenn er eine Uniform trägt, he?« Er sprang auf, stürzte mit drei großen Schritten an Corells Seite und stützte sich mit den Fäusten auf den Tisch. »Sparen wir uns alle Fragen! Sascha ist Arzt, mein Schwiegersohn, ein ehrlicher Mensch. Wollen Sie das bezweifeln? Ich sage das schon seit zwei Stunden. Wo ist das Telefon? Ich will den Parteisekretär sprechen …«
»Im Hotel ›Maestoso‹ wurde gestohlen!« schrie der Offizier. »Machen Sie mich nicht dafür verantwortlich, daß ein deutscher Arzt wie ein Strolch aussieht! Jeder vernünftig denkende Mensch muß auf den Verdacht kommen, wenn …« Er holte ein Taschentuch aus der Uniform, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und verscheuchte mit einer energischen Handbewegung den Protokollführer. Erst, als der junge Milizionär gegangen war, sprach er weiter. »Wieviel Geld haben Sie in der Tasche?«
»Genau vierzig Deutsche Mark und 900 Dinare.«
»Aha! Und davon wollten Sie das Hotel bezahlen?«
»Ich habe Vorkasse geleistet«, sagte Corell. »Heute wollten wir zurück nach Piran. Dafür reicht es …«
»Und warum sehen Sie so aus, als wenn …« Der Offizier suchte nach einem Ausdruck, der nicht beleidigend war, aber doch das beschrieb, was jeder dachte, wenn er Corell anblickte.
»Die Bora hat ihn von der Straße gefegt«, sagte Danica. »Kennen Sie Ihre Akten nicht? Dr. Corell … der Arzt aus Frankfurt … Sie haben seinen Wagen aus der Schlucht holen lassen …«
»Und ich habe das Protokoll darüber unterschrieben!« brüllte Robic.
»Es sind damals so viele Protokolle unterschrieben worden. Aber wir werden das nachprüfen.« Der Hauptmann klappte Corells Paß zu und steckte ihn in eine Schublade. Corell beobachtete das mit gemischten Gefühlen. Ohne Paß ist der Mensch kein Mensch mehr. Ohne Paß gibt es kein Leben. Es ist möglich, dachte er sarkastisch, daß auch vor dem Eintritt in den Himmel eine Paßkontrolle stattfindet. Wie leicht ist es, einen Menschen zu neutralisieren, ihn zu einem unbestimmten Etwas zu machen, zu einem Kloß aus Muskeln, Sehnen, Adern, Blut und Knochen, dem man keine andere Funktion gestattet, als einfach vorhanden zu sein. Mein Leben liegt jetzt in einer Schublade, sie wird zugeschoben und verschlossen … aus! Ist es ein Fehler, nur an den einen, großen Gott zu glauben? Die Menschheit scheint durch die kleinen Götter zu leben.
»Es hat auch Ärzte gegeben, die gestohlen haben«, sagte der Hauptmann und blickte an Corell vorbei auf einen Punkt an der Wand.
»Es gab Ärzte, die waren Mörder«, sagte Corell.
»Sehen Sie.« Der Hauptmann sah Corell dankbar an, wie ein Ertrinkender, den man an Land gezogen hat. »Und so, wie Sie aufgetreten sind, in diesem Anzug, ohne Krawatte, ohne Gepäck, mit einem Omnibus spät abends in Lipica angekommen, im voraus bar bezahlt, das beste Essen, der beste Wein … sagen Sie selbst: Ist das nicht verdächtig?«
»Sollte er nicht bezahlen?« schrie Robic und schlug die Hände zusammen … »Wie man's macht, ist es falsch bei den Behörden. Bezahlt man, wird man verhaftet, bezahlt man nicht, wird man auch abtransportiert!«
»Sei still, Petar –«, rief Stana von ihrem Stuhl an der Wand. »Setz dich endlich und sei still …«
»Endlich ein vernünftiges Wort!« Der Hauptmann hustete in die hohle Hand und dachte scharf darüber nach, wie man sich elegant aus der anscheinend sehr heiklen Lage befreien könnte, ohne die Würde zu verlieren.
»Eins steht fest: Aus dem Hotel wurde Schmuck gestohlen. Viel Schmuck, wertvoller Schmuck. Und es war kein Jugoslawe, der ihn gestohlen hat. Bei uns ist ein Gast unantastbar, es sei denn, die Obrigkeit hat ein Recht,
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