Ein Sommer mit Danica
sich um ihn zu kümmern. Diebe gibt es überall, natürlich – aber ein guter Jugoslawe wird den Gast seines Landes immer achten.«
»Dann war es kein guter Jugoslawe!« rief Robic. Stana hatte ihn auf seinen Stuhl gezerrt und hielt ihn jetzt dort fest, indem sie sich in seine Jacke klammerte.
»Nein, es war ein Deutscher!« sagte Corell.
Der Milizhauptmann erstarrte. »Sie kennen den Dieb?« fragte er atemlos.
»Ja.«
»Und Sie verraten ihn nicht?«
»Ich kann es nicht.«
»Aha! Sie sind sein Kompagnon.«
»Nein. Ich bin sein Arzt –«
»Ist das ein Grund?«
»Nur ein halber.« Corell lächelte bitter. »Glauben Sie mir, ich weiß nicht, wie er heißt, ich weiß nur, daß er einmal oder zweimal in meiner Praxis war. Ich weiß nicht einmal mehr, warum … seine Krankheit, was ich ihm verschrieben habe. Als ich ihn in Lipica sah, als er an meinen Tisch trat, kam mir sein Gesicht irgendwie bekannt vor. Aber ich habe mich dagegen gewehrt, ihn zu kennen, ich habe genug von den Schatten der Vergangenheit. Hätte ich damals gewußt –«
»Haben Sie viele solcher Patienten?« fragte der Hauptmann. Es sollte ein lahmer Scherz sein.
Corell lächelte zurück. »Nur.«
»Was heißt das?«
»Ich bin ein Arzt, der die Gosse behandelt. Auch so etwas muß es geben. Nicht nur edle Pferde werden krank, auch Ratten.«
»Und davon leben Sie?«
»Wie Sie sehen.«
»Wir werden das alles nachprüfen.« Der Hauptmann erhob sich abrupt. In seinem Blick lag deutlich Mißtrauen und jener Abstand, den man wie eine Barriere aufbaut gegen alles, was nicht den Stempel des Genormten trägt. »Es wird einige Tage dauern. Ich nehme an, Sie bleiben gerne noch Gast in unserem Land.«
»Da Sie meinen Paß kassiert haben, werde ich diese Freude genießen müssen«, sagte Corell. »Wenn Sie in Frankfurt anfragen, verlangen Sie Dr. Kollitz vom städtischen Gesundheitsamt. Er wird Ihnen über mich eine leidenschaftliche Philippika halten, aber Sie sollten wissen, daß seine Frau einmal meine Geliebte war, und ein gehörnter Ehemann ist ein schlechter Zeuge …« Corell legte den Arm um Danicas Schulter. »Kann ich gehen?«
»Ja –«, sagte der Hauptmann steif. »Sie hören wieder von uns.«
»Und Sie von mir!« Robic sprang von seinem Stuhl und riß Stana mit, die ihn noch immer am Jackett festhielt. »Ihr Lieben, schnell hinaus aus diesem Zimmer. Es stinkt nach Bock!« Er drehte sich an der Tür um und kam noch einmal zurück. »Und warum werde ich nicht verhört? Warum fragt man mich nicht? War ich nicht auch am Morgen im Hotel, he? Wenn ich nun der Dieb wäre …«
»Unmöglich …«
»Nichts ist unmöglich! Wieso?«
»Zu diesem Diebstahl gehörte Intelligenz.« Der Hauptmann genoß es, das zu sagen. »Petar Robic … soll ich dort suchen, wo nichts ist?«
»Ich schlage ihm den Schädel ein!« brüllte der alte Robic später auf der Straße. »Ich schwöre es euch … ich lauere ihm auf und dann … knack, wie man ein Eierchen köpft … Dieser aufgeblasene Sack! Gehen wir zur Post. Ich rufe die Parteileitung an! Ich bin beleidigt bis auf die Knochen. Der Ärger frißt mir das Mark weg! Sascha … ich versichere dir, daß unser Land und unsere Menschen anders sind als dieser Idiot in Uniform!«
»Ich kenne euer Land.« Corell drückte Danica an sich. Sie gingen über die Uferstraße zum Omnibusbahnhof. Es war ein schöner, heißer Tag mit einem unendlich grenzenlosen blauen Himmel und dem Geruch von tausend Blüten. »Und ich liebe es …«
Sie haben meinen Paß behalten, dachte er dabei. Mein Plan, Danicas heile Welt heimlich zu verlassen, ist gescheitert. Das Schicksal ist ein widerlicher Kuppler. Wie gut wäre es für uns alle gewesen, morgen nicht mehr da zu sein, unterzutauchen im Unbekannten, eine Erinnerung zu werden, die bald verblaßt. Aber ohne Paß ist man wie ein Tier in einem Käfig.
12
Es gab keinen Skandal, so sehr sich Robic auch darum bemühte. Er alarmierte tatsächlich das Parteibüro, sprach mit alten Freunden, die jetzt irgendwo in einflußreichen Staatsstellen saßen, fiel den Redakteuren der Zeitungen auf die Nerven mit seinem Geschrei, so etwas müsse ganz groß auf die Titelseite, ja, er schrieb sogar einen Brief an Marschall Tito, nannte ihn darin ›lieber Kampfgenosse Broz‹ und erhielt zwei Tage später einen Anruf aus Belgrad, von irgendeinem Sekretär, der höflich anfragte, ob es in Piran einen Irrenarzt gäbe, wenn nicht, so sei bestimmt einer in Ljubljana. »Wo ist der alte Kampfgeist
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