Ein Sommer mit Danica
Ihnen, Corell: Wenn wir jemals aus diesem Land hier wieder herauskommen, wird es meine Lebensaufgabe sein, außer Arzt auch Rufer gegen den Wahnsinn des Krieges zu werden. Es wird nicht viel nützen, ich weiß es jetzt schon … zuviele leben vom Krieg und der Dummheit der Menschen, und die Politiker brauchen das Chaos, um als Friedensengel auftreten zu können. Welch eine Katastrophe, wenn die Menschheit friedlich wäre! Was fängt denn ein Politiker mit einer ruhigen Welt an? Haben Sie schon mal gehört, wie es klingt, wenn ein Sänger allein singt, ohne Begleitung, ohne Klavier oder Orchester? Lächerlich, sage ich Ihnen. Aber mit Orchester, mit Geigen, Posaunen und Trompeten … das reißt die Herzen auf. Und das Orchester der Politiker ist das Gedröhn der Waffen, die Unruhe in der Welt, die Angst vor dem Chaos.«
Corell sah auf seine Armbanduhr. Dr. Weber verstand diese stumme Geste.
»Ja, ich rede wieder zuviel, Corell. Ich weiß. Sie sind jung, ich aber bin ein alter Schätzer. Doch ich mag Sie. Weiß der Teufel warum … Sie sind mir sympathisch. Hätte ich einen Sohn – er sollte so sein wie Sie.«
»Sie haben keine Kinder?« Corell zog die Maschinenpistole vor die Brust. Jetzt sah er wirklich wie ein Partisan aus, wie einer jener jungen Hirten, die wie Gemsen durch die riesigen Felsen kletterten, überall auftauchten, die deutschen Truppen beschossen und ebenso schnell wieder verschwanden, als könnten sie in die Steine eindringen. Deutsche Soldaten in Regimentstärke durchkämmten die Karstgebirge … sie stießen ins Leere. Was sie fanden, waren verlassene Partisanenlager, ausgebaute Höhlen, Steinbunker, in Jahrmillionen ausgewaschenen Gänge durch die Berge, die in die Zauberlandschaft der Tropfsteinhöhlen führten … und hier endeten meist alle Suchaktionen, denn kein Fremder war in der Lage, diese unterirdische Welt zu erforschen. Es war wie ein Kampf gegen Phantome.
Dr. Weber wandte sich um und ging langsam zum Fenster. Draußen lag die kalte Nacht. Die Baracken, der Boden, die Bäume überzogen sich mit Reif.
»Ich hatte eine Tochter –«, sagte er leise. »Im Mai ist sie bei einem Luftangriff auf Wuppertal auf der Straße verbrannt …« Er holte tief Atem. Es klang wie ein Seufzen. »Junge, bleib hier …«
»Und unsere Verwundeten?«
Dr. Weber schwieg. Corell wartete nicht auf eine Antwort, deutete eine Achtungstellung an, grüßte und ging hinaus. Dr. Weber blieb am Fenster stehen, bis Corell draußen an der Baracke vorbeigegangen war. Der Kübelwagen wartete fahrbereit an der Wachbaracke … Weber hörte, wie der Motor ansprang, wie Corell ein paarmal Gas gab, um ihn anzuwärmen … dann entfernte sich das Geräusch sehr schnell. »Es ist alles Wahnsinn –«, sagte Dr. Weber, ging zu dem Küchentisch zurück und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er streckte die Beine aus und umfaßte den heißen Pfeifenkopf mit beiden Händen. »Aber es ist erstaunlich, wie man sich daran gewöhnt, mit dem Wahnsinn zu leben …«
Dr. Corell trug sich in das Ausgangsbuch der Tor-Wache ein und schlug dann den Kragen seiner Felljacke hoch. Der Wachhabende, der Unteroffizier Ritzel, ging mit ihm bis zum Wagen.
»Viel Glück, Herr Unterarzt!« sagte er und grüßte stramm.
»Ich kann's brauchen, Ritzel.« Corell ließ den Motor an und trat ein paarmal das Gas durch. »Wenn ihr morgen früh von mir aus Pula keine Nachricht habt, ist's in die Hosen gegangen.«
»Wenn plötzlich Steine auf der Straße liegen, 'raus aus der Karre, Herr Unterarzt, und in Deckung! Nicht schießen! Nur, wenn Sie 'was sehen. Mäuschen spielen und sich verkrümeln, das ist das einzig Wahre …«
»Danke, Ritzel.« Corell winkte und fuhr an. »Vielleicht halten auch Sie mich für einen Idioten … aber ich glaube an den Schutz der Rot-Kreuz-Fahne.«
Er beugte sich etwas vor, gab mehr Gas und fuhr schnell davon.
Es war eine verdammt kalte, aber helle Nacht. Der Mond stand hoch über den Bergen und beschien das große Rote Kreuz auf der Kühlerhaube und die über den Rücksitz gespannte Lazarettfahne.
Deutlicher geht es nicht, dachte Corell. Und auch Partisanen brauchen einen Arzt. Darin sind wir Brüder … es ist zum Kotzen, daß wir dazu erst zerfetzte Leiber brauchen …
*
Dr. Corell kam durch.
Er erreichte Pula noch in der Nacht, ohne einen Partisan gesehen oder gehört zu haben. Aber sie waren um ihn herum gewesen, hatten seine Fahrt bis kurz vor Pula begleitet, – das erfuhr er, als er mit dem Feldlazarett Labin
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