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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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darauf, daß man ihn holte. Nach einer Stunde drang die Kälte in seinen Körper, nach zwei Stunden spürte er, wie sie die Knochen erreichte. In der dritten Stunde stand er vor der Wahl, zu erfrieren oder erschossen zu werden.
    Er entschied sich für die kleine Chance, mit der Fahne des Roten Kreuzes doch noch sein Leben zu retten. Er band die Fahne ab, stand auf und wunderte sich, daß sein zu Eis erstarrter Körper überhaupt noch zu diesen Bewegungen fähig war. Dann trat er wieder auf die Straße und hielt die Fahne hoch. Eine erschütternde Bitte: Laßt mich leben! Ich bin ein Arzt. Ich bin auf der Welt, um zu helfen, nicht um zu töten.
    Laßt mich durch. Mein Gott, laßt mich durch! Seht mich doch an … ich bin in eurem Land, weil man mich dazu befohlen hat, aber jetzt bin ich unterwegs, um Leben zu retten und Schmerzen zu lindern. Auch die Schmerzen von euren Leuten … Schießt nicht! Ich bin kein Feigling, der um sein Leben bettelt, aber in Labin warten über 50 wehrlose, zusammengeschossene Menschen auf mich. Und ich habe ihr Leben bei mir, hier, in allen meinen Taschen …
    Er begann wieder zu rennen, aber er spürte nicht, daß er lief. Seine Nerven schienen mit Eis überzogen zu sein, seine Muskeln waren Eispfähle, die irgendeine Kraft in ihm Meter um Meter in den Boden rammte. Erst nach hundert Metern fühlte er wieder Wärme in sich, und mit diesem köstlichen Gefühl kam auch eine tiefe, unbezwingbare Müdigkeit über ihn. Corell begann zu taumeln. Er schwankte von der Straße weg zu den Felsen, setzte sich auf einen großen Stein, schlug die Hände vor die Augen und spürte nur ganz fern, daß er von dem Stein herunterkippte und auf die Erde in das harte, am Straßenrand wachsende Gras fiel.

16
    Er erwachte in der Nacht und begriff dieses Wunder nicht. Nach medizinischer Erfahrung hätte er längst erfroren sein müssen, aber als er jetzt aufstand, fühlte er sich frischer als je zuvor, hüpfte ein paarmal auf der Stelle und nahm dann seine Rot-Kreuz-Fahne vom Boden auf. Irgendwo in der Nähe hämmerten Maschinengewehre, und jetzt wußte er auch, was ihn geweckt hatte.
    Dort, wo Rasa lag und wo er hinwollte, zischten Leuchtkugeln in den Nachthimmel und erhellten Straße und Felsen. Sofort vermehrte sich das Rattern der MGs, und ein neuer Ton mischte sich dazwischen … das dumpfe Knallen von Minenwerfern.
    Der Weg nach Rasa war versperrt, zurück nach Pula war sinnlos. Auch dort, ganz weit weg, schienen Kämpfe im Gang zu sein, denn kein Wagen hatte in der ganzen Zeit die Straße passiert.
    Dr. Corell sah sich um. Gehen wir hinein in die Höhle des Löwen, dachte er. Ich will etwas tun, was jeder später als blanken Irrsinn bezeichnen wird: Ich will die Partisanen bitten, mich bis vor Labin zu bringen. Seit Jahrhunderten war im Kriege der Arzt der Freund aller Soldaten. Oft sein letzter Freund, sein Beichtvater, sein armseliger Gott auf Erden. Corell nahm die Fahne wieder in die Hand und stapfte los, in die Felsen hinein. Er kletterte den Hang empor, kam auf einen kleinen Pfad und wußte: Irgendwo auf diesem schmalen Weg war sein Leben zu Ende, oder aber ein Wunder geschah. Ihm war es völlig gleichgültig … mechanisch setzte er Fuß vor Fuß und ging weiter, die Rot-Kreuz-Fahne um sich gewickelt wie ein bodenloses, bedrucktes Nachthemd …
    Plötzlich sah er vor sich einen Schatten über den Weg huschen. Er war in der Dunkelheit kaum wahrnehmbar, und Corell wußte auch nicht, wie lange er gegangen war, wo er sich befand, wie weit er von der Straße abgekommen war. Er hatte völlig die Orientierung verloren, nackte Felsen waren um ihn, über ihm ein schwarzer, wolkenschwerer Himmel, der kein Mondlicht mehr durchließ.
    »Halt!« rief Corell und blieb stehen. »Halt!«
    Das war ein Fehler. Er sah das Aufblitzen von Mündungsfeuer, warf sich auf den Boden und machte sich so flach wie möglich. Wieder schoß der unsichtbare Schütze, einfach in die Nacht hinein, dann ein drittes Mal, ein viertes Mal, als habe er eine wahnsinnige Angst und betäubte sie damit, daß er in die Gegend schoß.
    Lautlos kroch Corell weiter. Er sah jetzt deutlich das Mündungsfeuer … es blitzte hinter einem Felsvorsprung auf. Der Schütze mußte dort knien und einfach ziellos den Weg entlang schießen.
    Noch drei Schuß hat er, dachte Corell. Wenn er keine zweite Pistole bei sich hat, bin ich schneller, als er das Magazin wechseln kann.
    Wieder das Mündungsfeuer. Corell blieb liegen, zwei Meter vor der Felsnase

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