Ein Sommer mit Danica
nach Köper ab.
»Das ist eine ganz große Lüge –«, sagte auch Stana. Sie saß neben Danica und hatte den Reisigbesen zwischen die Knie geklemmt. »Sie lieben sich. Wer liebt, flüchtet nicht! Und was hat Petar damit zu tun?«
»Nichts«, sagte Dravic schnell. »Absolut nichts. Er zermürbt sich nur in väterlichem Kummer.«
»Also doch!« Stana beugte sich vor. Ihr graumeliertes Haar hing ihr über die Augen. Ihr Leben war ein Leben für Danica gewesen. Ein ständiges Arbeiten mit beiden Händen … in der Wäscherei, in der Büglerei, im Andenkenladen, in dem alten schmalen Haus der Robics … Tag um Tag, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, nur Arbeit, Rückenschmerzen, dicke Beine, geschwollene Finger, ausgelaugte Haut, Stechen in den Gelenken. Nur wegen Danica, damit sie ein glückliches Leben hatte – »Hat Petar nach Ljubljana geschrieben?«
»Frag ihn selbst«, knurrte Duschan Dravic. »Jetzt rührst du an das heilige Amtsgeheimnis.«
»Und es besteht keine Möglichkeit, daß eine unbekannte Dienststelle ihn weggebracht hat?«
»Alle, die man fragen konnte, haben wir gefragt.« Dravic legte beide Hände auf den Tisch. Der nächste Satz war ein behördlicher Satz. »Oder glaubt ihr, man schleiche sich nachts in euer Haus und hole Sascha heimlich aus dem Bett? Für was haltet ihr die Behörde? Sind wir Menschenräuber? Wir sind hier nicht in Amerika. Gott sei Dank! Bei unseren Amtshandlungen darf die Sonne scheinen!«
Es hatte keinen Sinn mehr, Duschans Klagegesänge länger anzuhören. Stana und Danica verließen die Milizstation, und Dravic atmete hörbar auf.
»Sie sind wie Windböen –«, sagte er zu Ljubinka. »Man kann sie nicht aufhalten. Was werden sie jetzt tun?«
»Frag nicht! Lauf ihnen nach, Duschan!« Ljubinka warf Dravic seinen Uniformrock zu. »Wenn du Petars Freund bist, so renne und beschütze ihn –«
Knurrend machte sich Dravic auf den Weg zu den Robics. Aber Petar Robic war allein in seinem Haus, als Duschan dort eintraf und artig an die Tür klopfte. Da alles so unheimlich still war, rückte er seine Uniformmütze zurecht und machte sich bereit, einen Gatten- und Vatermord zu besichtigen. Statt dessen fand er den alten Robic in der Küche. Er saß vor dem Herd und starrte trübsinnig auf den Kessel, in dem das Wasser für den Morgenkaffee zu sprudeln begann.
»Schade, du lebst noch«, sagte Dravic und hockte sich auf die Tischkante. »Aber was für ein Leben wird es sein? Welcher Teufel hat dich geritten, die Behörden zu mobilisieren? Bekommt da einen Arzt ins Haus, kann sein Töchterchen verheiraten wie eine Gräfin, und was macht der Idiot? Er läßt das Glück ausweisen! Siehst du wenigstens ein, daß du ein Idiot bist? Erst pflegst du Sascha gesund, dann willst du ihn umbringen, dann benehmt ihr euch in Lipica wie mit Gold behängte Schwiegereltern, dann trittst du ihn wieder heimlich in den Hintern … was willst du eigentlich?«
»Ich weiß es nicht, Duschan.« Robic goß sich eine Kanne mit Kaffee auf, brach von einem runden Bauernbrot einen Kanten ab und hob hilflos die Schultern. »Ich bin ein gespaltener Mensch, das ist es. Die eine Seite sagt ja zu Sascha, die andere brüllt dazwischen nein. Mal ist die eine Stimme stärker, mal die andere. Man kann dabei verrückt werden …«
»Und Danica wird dazwischen zerrieben.« Dravic nahm wieder eine amtliche Haltung ein. »Petar Robic, das ist jetzt eine polizeiliche Frage: Wo ist der deutsche Arzt Dr. Corell?«
»Weg –«
»Wohin?«
»Wenn ich das wüßte, machte ich mich sofort auf den Weg zu ihm.« Robic biß in den Brotkanten und schlürfte vorsichtig den heißen Kaffee. »Ich habe schon an Frankfurt gedacht.«
»Da ist er nicht.«
»Ach, das habt ihr schon heraus?«
»Ja. Sind wir Schwachköpfe?« Dravic holte eine Tasse aus dem Schrank und goß sich Kaffee ein, obwohl ihm ein riesiges Bier lieber gewesen wäre. »Ich habe von der Miliz in Frankfurt angerufen, eine umständliche Sache. Erst die Auskunft in Ljubljana, dann die Auskunft in Frankfurt, dann hatten wir die Nummer. Und wer meldet sich? Eine Weiberstimme. ›Hier ist der Fernsprechauftragsdienst. Der Teilnehmer der gewählten Nummer ist zur Zeit nicht erreichbar. Bitte sprechen Sie Ihre Nachricht langsam und deutlich auf das Band …‹«
Robic starrte Duschan an und vergaß das Kauen. »Und was hast du aufs Band gesprochen?«
»Scheiße.«
»Welch ein kultivierter Mensch!«
»Es war die falsche Telefonnummer.« Dravic seufzte laut.
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