Ein Sommer mit Danica
»Aber beim zweiten Anlauf klappte es. Überall großes Rätselraten.«
»Ich will keine Rätsel, – ich will Sascha!« schrie Robic. »Was hast du erreicht?«
»Er ist nicht in Frankfurt!« brüllte Dravic.
»Wie kann er auch? Er fliegt doch nicht schneller als der Schall.« Robic sah auf die alte, emaillierte Küchenuhr mit den großen schwarzen Ziffern und den durchbrochenen Zeigern. »Wenn er mit dem Zug gefahren ist, befindet er sich jetzt gerade in Österreich.« Er kaute weiter und pustete in den heißen Kaffee, um ihn abzukühlen. »Warten wir einen Tag ab, – dann wissen wir mehr.«
*
Es wurde ein schwerer Tag für Petar Robic. Um allen Diskussionen auszuweichen, blieb er bis zur Dunkelheit in seinem Andenkenladen, ließ sich zu Mittag eine Tüte mit heißen Kartoffeln und etwas Mayonnaise aus der nächsten Wirtschaft bringen, aß dazu einen Zipfel Salami und verschanzte sich hinter seiner Theke. Er wartete auf Stana und Danica, aber sie kamen nicht. Ihre Mißachtung ihm gegenüber war so groß, daß sie ihn gar nicht zu bemerken schienen, als er abends ziemlich zerknickt nach Hause kam und sich an den Tisch setzte. Stana hatte nur für zwei gedeckt … Petar knirschte mit den Zähnen, aber sein Stolz verbot es ihm, aufzustehen und aus der Küche für sich einen Teller zu holen. Man bediente ihn auch nicht wie früher, aber man ließ die Suppenschüssel auf dem Tisch stehen als stumme Aufforderung: Nimm dir was, wenn du willst.
Wie ein Schwein wird man behandelt, dachte Robic und rührte die Suppe nicht an. Es war eine köstlich duftende Corbas mit viel Fleisch und Gemüsen und saurem Rahm. Man schiebt den Trog hin und denkt: Friß, du Sau! Aber nicht mit mir! Einmal werden sie wieder ruhiger werden, die Weiber, und dann wird man ihnen erklären können, warum ein Vater so und nicht anders handeln konnte.
Er steckte sich seine Pfeife an, blies den dicken Rauch über den Tisch, Stana ins Gesicht, und wartete darauf, daß sie husten würde. Das wäre wenigstens ein Laut von ihr gewesen. Aber selbst diesen Gefallen tat sie ihm nicht … sie stand schweigend auf und ging hinaus.
Kurz vor der Zeit, in der Petar, erschlafft von dem lautlosen Kampf gegen seine Weiber, ins Bett gehen wollte, erschien Dr. Vicivic. Robic begrüßte ihn, als sei er als Engel vom Himmel geschwebt.
»Schreiben Sie ein Rezept aus, Doktor!« rief er so laut, daß es Stana und Danica in der Küche hören mußten. »Ein Medikament gegen die Maulfaulheit. Denken Sie sich … ich habe zwei Weiber hier, die den Mund nicht mehr aufkriegen. Ist das epidemisch? Muß man das den Gesundheitsbehörden melden?«
In der Küche zerbarst klirrend ein Teller. Er war deutlich gegen die Wand geworfen worden.
»Danica –«, sagte der alte Robic glücklich. »Der erste Laut seit heute morgen … Wie gut das tut.«
»Ich komme aus Ljubljana.« Dr. Vicivic stellte seine Arzttasche auf den Boden. »Ich habe mit den Behörden gesprochen. Nicht Ihretwegen, Petar, sondern weil ich Dr. Corell schätzen lernte und er ein lieber Kollege ist. Außerdem wollte er das Rezept für meine Stinksalbe – wie er sie nannte – haben. Wissen Sie, was ich in Ljubljana erfahren habe? Ein Ausweisungsbeschluß liegt gar nicht vor. Sie haben mich ausgelacht.«
In der Küche zerschellte ein zweiter Teller an der Wand. Robic verzog glücklich das Gesicht. »Sie gibt wieder Laut …« Dann erst schien er zu begreifen, was Dr. Vicivic gesagt hatte, und sein Gesicht veränderte sich zu völliger Ratlosigkeit. »Aber Duschan … er hat doch gesagt … der Schwager seiner Schwester hätte unter der Hand mitgeteilt … nur eine Formsache noch … in ein, zwei Tagen … Sie waren doch dabei, Doktor … Dravic hat doch gesagt: Die Akte liegt vor. Wörtlich: Die Akte liegt vor! Es klang so erfreulich amtlich …«
»Nichts ist wahr, Robic …«
»Gott verzeih mir –«, sagte der alte Robic dumpf – »aber noch diese Nacht werde ich Duschan Dravic entmannen. Er hat mein Familienleben ruiniert. Keine Akte liegt vor! Wozu die ganze Aufregung? Jetzt sieht die Welt ja ganz anders aus … wir alle sind nur von einem betrogen worden: Von diesem Saustück von Dr. Corell! Danica, mein Töchterchen, welch eine Tragödie …«
Er blieb im Zimmer sitzen, während Dr. Vicivic in die Küche ging. Dort standen Stana und Danica nebeneinander an der Wand, um sich die Scherben der Teller, und sie hatten beide die gleichen aufgelösten bleichen Gesichter, die leeren Augen und die zuckenden
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