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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unter seinen Schuhen knirschten die Trümmer, und er erinnerte sich an eine Bombennacht 1944, wo im Nebenblock eine Luftmine ein sechsstöckiges Gebäude wegblies und sein Elternhaus nur noch aus einigen Mauern mit unkenntlichem Inhalt bestand. Auch hier gab es jetzt nichts Erkennbares mehr, bis auf den Sessel, in dem man ihn hatte sitzen lassen. Corell ging zu einem Fenster und stieß es auf. Unten an der Ecke standen wieder die Stammhuren. Er wußte nicht, wie spät es war, der Himmel war mit schwarzen Wolken verhängt. Es konnte tiefe Nacht sein oder kommender Morgen; es wurde ein Regentag, soviel war klar. Spätsommer, hinübergleitend zum Herbst – die Zeit, die zu ihm paßte. Er ging zurück zu seinem Sessel, setzte sich wieder, legte die Kompresse auf seine Augen und überlegte, ob es ein Leben war, jeden Monat einmal zusammengeschlagen zu werden. Zur Polizei zu gehen, war völlig unmöglich. Man würde einen Haufen Ganoven kassieren, aber es blieben noch genug übrig, ihm dann die Haut vom Fleisch zu ziehen. An der Tür klingelte es. Corell blieb sitzen und hieb die Hände um die Sessellehnen. Kommt nur herein, dachte er. Warum seid ihr so höflich? Ihr habt doch den Schlüssel! Was wollt ihr denn noch? Mich wieder fragen? Ich werde wie eine Platte mit einem Riß sein und nichts anderes sagen als nein … nein … nein … Verdammt, erschlagt mich doch!
    Wieder klingelte es. Dann hörte er, wie jemand gegen die Tür klopfte.
    Ächzend stand er auf und schwankte in die Diele, hielt die Kompresse gegen die Stirn und war daraufgefaßt, das Gesicht des ›Lords‹ zu sehen oder den glänzenden Glatzkopf des ›schönen Edy‹.
    Der wird es sein, dachte Corell. Er hat Mitleid. Ich bin ja seine heimliche, unglückliche Liebe. Er wird mir eine Flasche Cognac bringen – o Edy, du brühwarmer Halunke, ich umarme dich, wenn du es bist. Und ich werde die Flasche leersaufen, zum letztenmal … ich habe sie jetzt nötig! Edy, laß das Klopfen, ich bin ja schon da … Er riß die Tür auf und trat zur Seite. Ein Schatten wirbelte in die Wohnung, er hörte etwas krachen, das sich anhörte, als fielen zwei Koffer auf die Dielen.
    Nicht doch, Edy, dachte Corell und versuchte, durch die Schwellungen etwas zu erkennen. Du kannst nicht bei mir wohnen. Wo hast du die Flasche, Edy … Er machte sich steif, als zwei Arme um seinen Hals fielen. Und dann fühlte er Lippen über seinen deformierten Kopf huschen, es waren Küsse, die seine zugeschlagenen Augen liebkosten, über seine aufgerissenen Lippen glitten, er spürte kalte, unendlich wohltuende Hände, die seinen Kopf zwischen sich nahmen und ihn festhielten, als er zu schwanken begann.
    »Was haben sie mit dir getan?« sagte eine Stimme. Sie klang wie ein Vogelschrei, aber sie war jetzt so schön, daß er sich in sie hineinwerfen konnte wie in einen klaren, kühlen See. »Was haben sie gemacht, diese Hunde, diese gemeinen Hunde, diese Feiglinge, diese schielenden Esel?! O Sascha, Sascha, weine nicht! Ich bin ja hier – ich bleibe bei dir. Laß sie nur wiederkommen, laß sie nur! Ich spucke sie mit Feuer an …«
    »Danica …«, stammelte er. Er schwankte vorwärts, sie stützte ihn, führte ihn zu dem Schreibtischsessel und drückte ihn hinein. »Danica … Danica …«
    Mehr konnte er nicht sagen. Seine Lippen brannten, seine Augen stachen, als lägen sie in feuriger Glut; er wußte, daß er weinte, daß er das elendeste, zerschundenste, erbärmlichste Wesen dieser Welt war. Aber er war auch der glücklichste Mensch, der jemals sein Gesicht in die Hände einer Frau gelegt hatte.

25
    Der Morgen war grau, regnerisch, von den ersten Herbstnebeln durchwallt, die die Autos zwangen, mit Licht zu fahren. Ein trostloser Tag, so fahl und matt, wie sich Corell fühlte und wie seine zerstörte Umgebung war. Er lag auf der Erde, zugedeckt mit einer aufgeschnittenen Daunendecke, den Kopf in zwei Sofakissen gedrückt, aus denen die Federn quollen. Auf seiner Stirn fühlte er ein nasses Tuch … es bedeckte auch seine Augen, sie mußten noch immer sehr geschwollen sein, denn als er die Lider bewegte, brannten sie wieder, als habe man ihm glühende Kohlen auf die Pupillen gedrückt. Vorsichtig tastete er nach seinem Kopf, bewegte sich nicht und lauschte angestrengt auf die Geräusche um sich herum.
    Er hörte Danica in der Wohnung herumgehen. Holz klapperte, Scherben klirrten, sie schien aufzuräumen und aus den Trümmern herauszusortieren, was man noch gebrauchen konnte.
    Im Augenblick

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