Ein Sommer mit Danica
Illusion zaubern, daß das Leben weiterging. Corell lächelte trüb, setzte sich und sah Danica zu, wie sie den Kaffee aufgoß. Dann kam sie zurück, griff in die Rocktasche, holte eines von Corells Skalpellen heraus und schnitt ein Brötchen auf.
»Sie haben auch die Messer zerbrochen, Sascha, und ich habe vergessen, eins zu kaufen«, sagte sie wie zur Entschuldigung. »Kannst du kauen? Soll ich dir das Brötchen kleinschneiden?«
»Es geht schon«, sagte Corell.
Er trank in keinen Schlucken den heißen Kaffee und biß vorsichtig in das Brötchen. Die Zähne saßen fest, nur die Kaubewegung schmerzte höllisch im Unter- und Oberkiefer, und das große Hämatom über dem linken Backenknochen war wie ein Sack, den er beim Kauen mitbewegen mußte. Er hatte das Brötchen noch nicht zu Ende gegessen, als es klingelte. Sofort ließ er alles fallen, griff nach dem Skalpell und sprang auf. Er schwankte, lehnte sich an die Wand und hielt mit der Linken Danica fest, die zur Tür laufen wollte.
»Bleib –«, sagte er schwer atmend. »Mein Gott, bleib, Danica. Sie sind es wieder. Das gehört zu ihrem Plan: Keine Ruhe lassen. Nachsehen, was dieser Idiot von Corell jetzt macht. Ob er weich genug geklopft ist und man ihn braten kann. Um Himmels willen, bleib hier –«
»Hast du Angst, Sascha?« fragte sie und sah ihn groß an.
»Ja, Danica, ja –«
»Ich habe keine Angst.«
»Du kennst diese Saukerle nicht!« schrie er. Sie riß sich los, und er war in seiner Schwäche und mit seinem zerschlagenen Körper nicht schnell genug, sie wieder einzufangen. »Danica!« brüllte er. »Wenn du die Tür öffnest, prügeln sie dich zusammen wie mich! Danica!«
Sie ließ sich nicht halten. Sie rannte durch die verwüstete Wohnung, raffte im Vorbeilaufen das abgebrochene Bein eines Stuhles vom Boden, ein viereckiges, massives, langes Bein, faßte es an dem schmalen Ende und ließ es in der Hand wie eine Keule wippen.
Dann drehte sie den Schlüssel herum und riß die Tür auf. Es gehörte von jeher zu den Besonderheiten des ›schönen Edy‹ – und man hatte darüber schon philosophische Betrachtungen angestellt – daß er immer dann, wenn er Gutes tun wollte, in das denkbar Schlechteste hineingeriet. Wenn er einen Streit schlichtete, gelang ihm das, aber nur deshalb, weil die beiden Kontrahenten dann auf ihn losschlugen, und wenn er Schmiere stand bei einem Einbruch, nur aus Nächstenliebe zu seinen voll beschäftigten Kameraden, schnappte die Polizei ihn und nie die Diebe. Sein Pech in Sachen Hilfe ging sogar so weit, daß man ihn ein halbes Jahr lang des Mordes verdächtigte, nur weil er einen Getöteten wegtrug, um ihn ein anständiges Grab zu schaufeln.
Auch heute trat ihn voll sein verzwicktes Schicksal. Er hatte gerade den Hut gezogen und seinen gepflegten Glatzkopf nach vorn gebeugt, wollte sagen: »Mein Fräulein, wie ist das Befinden des liebwerten Herrn Doktor?«, da krachte auch schon das Stuhlbein mitten auf seinen Schädel. Es war ein guter, kräftig geführter Schlag. Der ›schöne Edy‹ wankte, hielt sich am Türrahmen fest und starrte Danica mit plötzlich glasigen Augen an.
»Ich wollte nur …«, stammelte er, da traf ihn der zweite Hieb. Er ging in die Knie, kroch in einer Reflexbewegung vorwärts, statt rückwärts und kam so in die Wohnung und völlig in die Gewalt von Danica. Sie warf hinter ihm die Tür zu, schloß sie ab und schlug ihm das Stuhlbein in den Rücken.
»Steh auf, du stinkender Hund!« schrie sie dabei. »Los! Steh auf!«
Der vierte Schlag traf das Gesäß des ›schönen Edy‹, eine Stelle, an der er besonders empfindlich und verletzbar war. Er grunzte laut, richtete sich mit großer Anstrengung auf, schob sich an der Wand empor, seinen wertvollen Hintern damit schützend, und legte beide Hände flach wie ein Dach über seinen Glatzkopf.
»Eine Bestie –«, stammelte er. »Eine Furie! Mein Gott, wie konntest du nur Frauen erschaffen!«
»Was willst du hier?« schrie Danica ihn an. Sie hob wieder die Stuhlbeinkeule, und der ›schöne Edy‹ bekam weite Augen. »Wo sind die anderen? Kommen sie noch? Warten sie unten, bis du sie heranpfeifst? Los, geh ans Fenster, ruf sie herauf! Ich schlage ihnen die Köpfe ein –«
Der ›schöne Edy‹ starrte an Danica vorbei zur Küchentür. Dort erschien Dr. Corell, und Edy verstand plötzlich, warum ihn die ganze Wucht der Vergeltung traf. Wenn Corell nicht in seiner Wohnung gewesen wäre – er hätte ihn anderswo nicht erkannt. Das war
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