Ein Sommer mit Danica
die Post das zerstörte Telefon wieder in Ordnung gebracht hatte. Es stand auf dem Sessel und war damit der zweite intakte Gegenstand der jetzt leeren Wohnung. Die Postbeamten wunderten sich, aber sie sagten nichts. Vielleicht macht er eine Krankengymnastik-Praxis auf, dachten sie. Da braucht man Platz. Aber merkwürdig blieb es doch.
»Ja, ich sammle meine Gegenstände zusammen«, sagte Corell zu Dr. Pietsch, dem stellvertretenden Präsidenten der hessischen Ärztekammer. Der Präsident hatte ausrichten lassen, er müsse sich für einen Kongreßvortrag vorbereiten und könne nicht intervenieren. »Sie reden von Standesbewußtsein, Herr Kollege. Bitte, ich hindere Sie nicht, unseren heiligen Stand im ewigen Glorienschein zu sehen: Pumpen Sie mir von der Kammer 100.000, – DM, und ich führe Ihnen in Kürze eine wunderschöne, moderne Praxis vor. Aus eigener Kraft bleibt mir nur das Betteln. Ich bin pleite, Kollege, ich habe keine Praxis im üblichen Sinne mehr, keine Patienten, einen Berg von Schulden, einen total versauten Namen. Was raten Sie mir? Es gibt Dombau-Lotterien … soll ich eine Corell-Lotterie ins Leben rufen? Wieviel zahlen Sie als erster ein, Kollege Pietsch?«
Das Telefonat war damit beendet. Man kannte Corell zu gut, um jetzt mit ihm weiter zu diskutieren. Es gab aber auch keine Möglichkeit, ihm zu helfen … gerade ihm nicht. »Die einzige Hilfe wäre, ihm die Kassen zu entziehen«, sagte Dr. Pietsch bei seinem Bericht an den Präsidenten. »Hilfe für uns alle … wenn dieser Corell aus dem Blickfeld verschwindet.«
Aber noch gab es keine Handhabe gegen ihn, man sammelte nur fleißig Material, ein Sündenregister, das man ihm zur gegebenen Zeit um die Ohren schlagen konnte.
»Ist es so schlimm?« fragte Danica, als Corell den Hörer auflegte.
»Ja. Nächste Woche kommen die bestellten Möbel. Ich habe sie nur angezahlt … und ich weiß schon jetzt, daß ich keine einzige Rate einhalten kann. Wir schwimmen in einer Wüste …«
»Und was wir alles gesammelt haben, Sascha?«
»Das ist wunderbar, mein Liebling. Am nächsten Ersten wird die neue Praxis Dr. Corell eröffnet … und die ersten Menschen, die hereinkommen werden, sind die Gläubiger. Wenn sie hereinkommen … denn unten wird die Leibwache des ›Lords‹ stehen …«
»Und ich, Sascha, und ich!« Ihre Augen sprühten Feuer. Wie schön sie ist, dachte er. Wie randvoll von Leidenschaft. Sie kann vor Liebe verbrennen. Womit habe ich diese Frau verdient …
An diesem Tage besuchte Corell die kassenärztliche Vereinigung und den Chef des Städtischen Gesundheitsamtes. Es waren die typischen Gespräche, die man mit Dr. Corell zu führen pflegte: Etwas von oben herab, etwas zynisch, ganz deutlich demonstrierend, daß man zu einer anderen Gesellschaft gehörte.
Die Stunden dieser Besuche nahm Danica wahr zu einer verzweifelten Aktion. Sie fuhr mit der Straßenbahn zur Hauptpost und gab dort auf slowenisch ein Telegramm nach Piran auf.
»Helft uns, Väterchen. Sascha ist in Schwierigkeiten. Er hat kein Geld, er hat nur Feinde. Wir lieben uns so sehr, aber mit Liebe allein ist nichts mehr zu machen. Ihr braucht nicht zu helfen, wenn ihr nicht wollt, aber ihr sollt wissen, daß ich nie mehr nach Piran zurückkomme.
Danica.«
»Wann kann es in Jugoslawien sein?« fragte sie den Schalterbeamten, der das Telegramm durchlas, natürlich kein Wort verstand und nur die Worte zählte.
»Wenn die Post in Ljubljana gut arbeitet, heute abend noch.«
»Und sonst?«
»Morgen bestimmt.«
»Das ist schön. Danke.«
Der Beamte steckte das Telegrammformular in eine Metallröhre und schickte es mit der Rohrpost zum Telegrafenraum. »Was steht denn drin?« fragte er leutselig. »Sehr wichtig? Viel Liebe, was?«
»Ja, viel Liebe …« Danica bezahlte das Telegramm und lächelte. Niemand achtete darauf, daß ihre Mundwinkel zuckten. »Sehr viel Liebe. Ein ganzes Leben lang …«
Irritiert starrte ihr der Beamte nach, bewunderte dabei ihre Beine und pfiff leise vor sich hin.
*
Wenn der Berg hinter Piran, auf dem die Burgruine steht, aufgebrochen wäre und die Stadt mir Lava überschüttet hätte, oder wenn das Meer verrückt gespielt und den Tartiniplatz in einen See verwandelt hätte … Petar Robic hätte sich den Kopf gekratzt, seinen Schnurrbart gestriegelt und gebrummt: »Die Welt ist eben verdreht. Vor dem Krieg war's schöner …«
Was aber jetzt passierte, als der Posthalter von Piran eigenhändig Danicas Telegramm aus Deutschland zu
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