Ein Sommer mit Danica
fragte sie und ließ das Stuhlbein fallen. »O Sascha, ich hätte ihn totgeschlagen … ich hatte solche Angst –« Sie warf die Arme um seinen Nacken und weinte.
26
Es schien, als habe der Bericht, den Edy seinen Freunden geliefert hatte, doch einen tiefen Eindruck hinterlassen. Wenn auch der ›Lord‹ schrie: »Das dämliche Hürchen bringe ich um. Ich drehe ihr den Hals 'rum wie einer Taube!«, und wenn auch eine Sitzung stattfand mit dem Beschluß, den Kampf gegen das neue Leben Dr. Corells weiterzuführen … Aktionen erfolgten nicht. Edy kühlte sein blaues Auge, gab Corells Bewachung an Nasen-Franz und Kletter-Egon ab und versuchte dann wieder einen seiner kläglichen Vermittlungsversuche.
»Hängt denn alles nur von diesem Corell ab?« fragte er. »Es gibt doch genug Ärzte.«
»Das verstehst du nicht.« Der ›Lord‹ warf ein Glas nach ihm, und nur durch schnelle Reaktion entging Edy einer weiteren Verunzierung seines Gesichtes. »Es geht um das Prinzip. Man lebt nicht jahrelang von uns und ist nachher zu fein, uns noch zu kennen. Wo wäre Corell heute, wenn wir nicht gewesen wären. Das will er vergessen … aber wir werden ihn immer daran erinnern … Dankbarkeit war schon immer ein mieses Geschäft.«
So abwartend sich die früheren Patienten Corells verhielten, so aktiv war Corell selbst. Mit den Resten aus seiner Praxis versorgte er zunächst sein Gesicht, schickte Danica zur Apotheke und ließ sich einen Karton voller Medizin bringen, wartete zwei Tage, bis die gröbsten Schwellungen zurückgegangen waren, schrieb eine Reihe von pharmazeutischen Firmen an, daß er seine Praxis vergrößern wolle, was zur Folge hatte, daß in wenigen Tagen eine Flut von Proben und Ärztemustern ins Haus kommen würde und besuchte dann einige Kollegen, die er vom Golfclub, vom Reiterverein und von der Schützengesellschaft her kannte.
Die Kollegen begrüßten Corell korrekt, aber sehr reserviert. Sie sahen in sein zerschlagenes Gesicht, und er bemerkte bei allen den Funken Schadenfreude in ihren Augen. Dr. Furscher fragte gerade heraus: »Hat man Sie verprügelt, Corell?«
Und Corell antwortete sofort, weil er mit dieser Frage immer gerechnet hatte:
»Nein, Kollege Furscher, das trägt man heute. Was früher eine Beatlefrisur und gestern ein Vollbart, ist heute ein zerklüftetes Gesicht. Wenn Sie Interesse haben und den neuen Modetrend mitmachen wollen … ich verschaffe Ihnen gern eine solche Visage.«
Die Unterhaltungen waren meistens kurz, höflich und überhaupt von versteckter Genugtuung.
Dr. Alexander Corell, der Modearzt, der einstmals reiche Playboy, der Herrenreiter, der Schwarm aller Frauen, der Herzensbrecher aus Passion, der gefürchtete Hausarzt aller Ehemänner, die schöne Frauen besaßen, der arrogante Pinkel, der Könner, dem alle Erfolge zuflogen wie die gebratenen Tauben im Schlaraffenland, der viel Beneidete, viel Besprochene, der Karrieremann, der Arzt mit den goldenen Diagnosen, wie er heimlich hieß … und der Arzt der Huren, Diebe und Zuhälter … er kroch zu Kreuze. Endlich! Er lag im Staub, und man konnte sich an ihm ungeniert die Schuhe abputzen.
Sie taten es alle, ohne Ausnahme. Und Corell ließ ihnen die Freude. Er schluckte jede giftige Bemerkung, jeden versteckten Angriff, jeden blanken Hohn … aber er tauschte dafür ein, was er brauchte, um weiterzuleben: Einen alten EKG-Apparat, einen Blutdruckmesser, überzählige Instrumente, einen Sterilisator, Spritzen und Hohlnadeln aller Größen, Wattebehälter, Emailleschalen, eine Untersuchungsliege, die bei einem Dr. Bempke im Keller verrottete und die Corell und Danica, wie Altwarenhändler vergangener Zeiten, selbst auf einem Handwagen quer durch Frankfurt fuhren, beide nebeneinander an der Deichsel ziehend. Er ging herum und bettelte … nein, er schämte sich nicht, er stand da, als habe er den Hut offen in der Hand, und die lieben Kollegen ließen ihren Praxisabfall hineinkollern. Unten, auf der Straße, wartete Danica mit dem Karren, und wenn sie hinaufblickte und die Gesichter hinter den Gardinen sah, warf sie den Kopf stolz in den Nacken und gab Corell einen Kuß, wenn er aus dem Haus des Arztkollegen trat.
Ein paarmal rief man die Ärztekammer an und fragte, ob es nicht gegen das Standesbewußtsein verstoße, wenn Dr. Corell mit einem Handwagen, einem Lumpensammler gleich, durch die Straßen ziehe und ärztliches Altmaterial transportiere. Am vierten Tag rief die Ärztekammer dann bei Corell an, eine Stunde, nachdem
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