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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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mich irre – was hatten die Geheimnisse Ihrer Eltern denn Gutes zur Folge?»
    «Fragen Sie mich das später noch mal.» Ich stelle das Glas auf den Tisch und setze mich wieder auf die Couch. Sie rückt ein paar Zentimeter ab, ob mit Absicht, ist schwer zu sagen. «Das ist die Millionenfrage.»
    «Nell. Ich möchte Sie dringend bitten, die Sache ein bisschen ernster zu nehmen.» Sie legt ihre Notizen beiseite, wie um mir zu zeigen, dass sie es jetzt wirklich ernst meint.
    «Aber es ist mir ernst!», setze ich mich zur Wehr. «Ich kann es doch unmöglich noch ernster meinen!»
    «Es gehört zu meinem Job – und auch zu Ihrem –, ab und zu an Dinge zu rühren, die vielleicht lieber unangetastet blieben. Mir ist aufgefallen, dass Sie sehr gut darin sind, Dinge auszublenden, mit denen Sie sich nicht auseinandersetzen wollen.»
    «Natürlich blende ich aus, womit ich mich nicht auseinandersetzen will! Wieso auch nicht? Könnte man, aus Ihrer psychologischen Sicht betrachtet, nicht auch sagen, dass im Grunde diese ganze Sache» – ich breite überschwänglich die Arme aus und fege versehentlich ihre Notizen vom Tisch – «der Versuch ist, auszublenden, womit ich mich nicht auseinandersetzen will?» Ich spüre meine Halsschlagader pulsieren und bin augenblicklich wütend, weil sie es geschafft hat, meine Abwehrmauer einzureißen, weil sie mir gezeigt hat, wie einfach ich doch zu durchschauen bin. Sollte sie meinen Sarkasmus registriert haben, so lässt sie sich nichts anmerken.
    «Hören Sie, Nell. Mir ist bewusst, wie hart Sie arbeiten, und ich weiß, dass Sie frustriert sind, weil Sie nicht mehr Fortschritte machen. Ich bin nur hier, um Sie zu führen, um Ihnen neue Blickwinkel aufzuzeigen, die eventuell hilfreich sein können oder eben auch nicht.» Stumm wartet sie ab, bis ich mich wieder gefangen habe. «Wie ist es mit Kunst?»
    «Was soll damit sein?»
    «Sie erzählten mir, dass Sie früher gern gemalt haben. Wie wäre es also mit einer Kunsttherapie? Es gibt ein paar sehr aufschlussreiche Studien über die Wirkung von Kunsttherapie in vergleichbaren Situationen.»
    Ich schüttle den Kopf. «Ich sagte nie, dass ich gern gemalt habe. Ich sagte, mein Vater hat mich immer für gut gehalten, so gut wie sich selbst. Das ist ein Unterschied. Nach allem, was mir berichtet wurde, hat meine Liebe immer der Musik gegolten.»
    Das muss sie offensichtlich erst verdauen. Sie kaut auf ihrer Unterlippe. Bestimmt eine uralte Angewohnheit aus ihrer Kindheit, die sich auch mit einem Abschluss in Psychologie nicht ausmerzen ließ.
    «Also, das führt uns natürlich zu einer anderen – nicht weniger wichtigen – Frage», stellt sie schließlich fest. «Wir haben bis jetzt unglaublich viel über Ihren Vater gesprochen, sehr viel mehr als über Peter oder Ihre Ehe oder all die anderen Themen, die wir auf Ihren Wunsch hin für heute gerne ruhen lassen können. Was jedoch Ihren Vater betrifft – in gewisser Weise scheinen Sie mehr an der Aufdeckung seiner Vergangenheit als Ihrer eigenen interessiert zu sein.»
    «Ist unsere Zeit noch nicht um?», witzle ich, doch sie verzieht keine Miene. «Okay, um die Wahrheit zu sagen, ich habe das Gefühl, je mehr ich über meinen Vater erfahre, desto mehr neue Fragen tun sich auf. Und es stimmt, vermutlich befasse ich mich viel mit diesem Thema. Sehr viel. Na und? Sind Sie denn nicht genau dafür da?»
    «Doch, zum Teil schon», gibt sie zu, und ich denke: Aha! Seiner Therapeutin zu beweisen, dass sie sich irrt, hat etwas ungemein Befriedigendes an sich. Es sind die kleinen Triumphe, die zurzeit zählen. «Aber vielmehr bin ich hier, um Ihnen bei der Frage zu helfen, wer Sie jetzt sind, weniger, wer Sie früher waren.»
    «Hören Sie», sage ich rundheraus. «Mein Vater hat uns verlassen, und das muss verheerend gewesen sein. Nach allem, was ich weiß, war es verheerend. Wieso darf ich nicht versuchen, mehr darüber zu erfahren?»
    «Sie dürfen gern mehr darüber in Erfahrung bringen.» Sie beugt sich vor, holt tief Luft und sammelt ihre Notizen wieder auf. «Aber diese ‹Verheerung›, wie Sie es nennen, hat Sie zu einem großen Teil definiert. Selbst jetzt in Ihrer Abwesenheit! Was stört Sie denn an diesem Bild?»
    «Das müssen Sie meinen Vater fragen – er war der Maler.»
    «Nell», entfährt es ihr, und ich weiß, dass sie kurz davor ist, die Geduld zu verlieren.
    «Okay», antworte ich eingeschnappt. «Ich war früher nur mit ihm beschäftigt, und jetzt bin ich es offensichtlich

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