Ein Sommer und ein Tag
stopfen, als würde er dir dabei zusehen, als würdest du es aus Rache tun. Dabei hattest du auf voller Lautstärke Musik laufen.» Rory muss grinsen. «Guns N’ Roses. Für eine Dreizehnjährige aus Bedford, New York, absolut lächerlich, aber aus deinem Zimmer und aus dem Gästehaus dröhnte tagelang nichts anderes. Es war wie, keine Ahnung, wie die Vertonung deiner Wut, so was in der Art.» Sie zuckt mit den Achseln und isst noch einen Löffel. «Und dann hast du schließlich so getan, als wäre nie was gewesen. Aber mit dem Unterschied, dass du keine Musik mehr geschrieben hast, dich eigentlich überhaupt nicht mehr für Musik interessiertest. Und Mom in ihrer wirren New-Age-Verblendung hat permanent versucht, mit dir darüber zu reden. Das hat dich nur noch weiter weggetrieben. Sie kam ins Zimmer, du gingst raus. So ungefähr.» Rorys Übelkeit ist wieder verflogen, und sie hat das Gefühl, vielleicht doch noch aus der Nummer rauszukommen, ohne einen der Beteiligten zu sehr in die Pfanne zu hauen. «Keine Ahnung – ich war damals erst acht oder neun. Viel zu jung für den ganzen Mist.»
«Und ich? Findest du, ich war mit dreizehn besser darauf vorbereitet?», will Nell wissen.
«Du?» Rory lacht beinahe. «Nelly, auf so was ist niemand vorbereitet. Das ist doch das Problem. Deswegen ist die ganze Sache ja so verkorkst.»
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19
I ch treffe mich heute mit einer alten Freundin. Ich hoffe, dass sie mir dabei helfen kann, ein paar Antworten zu finden», erzähle ich Liv, als wieder Dienstag ist. Sie sieht müde aus, weniger strahlend als sonst, und ich frage mich, mit wem sie wohl über ihre Probleme spricht. Wir sitzen nebeneinander auf meiner neuen roten Couch, die Gesichter einander zugewandt, und es ist gemütlich und seltsam zugleich; es hat etwas Intimes, sich ein Möbelstück zu teilen.
«Antworten worauf?»
«Was meinen Sie damit? Antworten auf alles.»
«Und die hat diese Freundin?» Ich kann nicht beurteilen, ob sie mich provozieren will oder einfach nur schlechte Laune hat.
«Haben Sie schlechte Laune?»
«Nein.» Sie lächelt verhalten.
«Unausgeschlafen?»
«Bleiben wir bitte bei Ihnen. Wenn Sie von Antworten sprechen, kommt es mir ein bisschen zu einfach vor, dass eine Freundin sie haben könnte.»
«Ist nicht genau das Sinn und Zweck der ganzen Übung?», frage ich gereizt. «Mir verdammt noch mal Antworten zu beschaffen?»
«Natürlich.» Sie nickt. «Ich meinte nur, dass es Antworten gibt, die nur von Ihnen selbst kommen können, von niemandem sonst. Ihre Freundin kann Ihnen zum Beispiel nicht sagen, was die Fehlgeburt für Sie und für Ihre Beziehung zu Peter bedeutet.»
«Wenn ich Ihre Therapeutenterminologie richtig deute, sind Sie also der Meinung, es ist Zeit, mit Peter über die Fehlgeburt zu sprechen.»
«Hier gibt es keine Therapeutenterminologie», antwortet sie. «Ich bin nur der Meinung, dass es ein Thema ist, über das Sie nachdenken sollten. Etwas, das Sie vielleicht zuerst mit mir besprechen möchten, ehe Sie damit zu ihm gehen.»
«Ich habe darüber nachgedacht», erwidere ich. «Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sogar in den besten Beziehungen Geheimnisse gibt. Dass womöglich einiges dafür spricht, ein paar Rätsel auf sich beruhen zu lassen, nicht alles auszudiskutieren.»
«Dafür mag tatsächlich einiges sprechen, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass Sie hier die Beziehung Ihrer Eltern mit Ihrer eigenen vermischen.»
Ich beiße die Zähne zusammen. «Sagen Sie mir, warum Sie schlechte Laune haben, und ich rede weiter.»
«Ich lass mich nicht erpressen», kontert sie, aber ich gebe nicht nach.
«Schön!» Sie atmet hörbar aus. «Watson, mein Hund, war letzte Nacht krank, und ich habe fast die ganze Nacht in der Tierklinik verbracht. Das ist alles. Jetzt geht es ihm wieder gut.»
«Das tut mir leid», sage ich. «Sie hätten den Termin verschieben können.»
«Ich verschiebe keine Termine. Wenn ich eine Verpflichtung eingehe, dann komme ich ihr auch nach.»
Mein altes Ich hätte Verpflichtungen sicher auch nicht einfach vernachlässigt, deshalb nicke ich verständnisvoll.
«Also, zurück zu Ihren Eltern.»
«Zurück zu meinen Eltern.» Ich stehe auf, um mir ein Glas Wasser einzuschenken. «Zwar habe ich mich nicht direkt auf sie bezogen, aber wo Sie das Thema schon mal anschneiden, sei’s drum.»
«Also. Sie sind der Meinung, Geheimnisse könnten einer Beziehung guttun, aber – bitte korrigieren Sie mich, falls ich
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