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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Laufschritt durch die Gänge gehastet, um uns zu begrüßen. Was sie, überlege ich, vielleicht auch tatsächlich getan hat. «Ich bin ja so froh, dass du es dir noch mal überlegt hast!» Sie faltet die Hände und tritt einen Schritt zurück, um mich zu begutachten. «Hübsches Hütchen! Schick! Schick! Schick!»
    Ich bin schon wieder peinlich berührt, weil mein ungeschickter Versuch, aus mir rauszukommen, so offenkundig ist, aber ich achte nicht weiter darauf.
    «Sam kennst du ja schon aus der Pizzeria.»
    «Wie schön, dich wiederzusehen, Sam.» Tina streckt die Hand aus und bedenkt uns beide mit einem sehr festen, sehr professionellen Händedruck, den ich mit einem übertriebenen Schütteln beantworte, einem geradezu cartoonhaften Festkrallen, um es ihrem übertriebenen Enthusiasmus gleichzutun. Ich werfe den Kopf zurück, um wieder etwas runterzukommen.
    «Wie gut wart ihr beide zu Schulzeiten eigentlich befreundet?», fragt Sam, während Tina uns in ihr Büro führt. Ich mustere das Großraumbüro, lasse den Blick über die offenen Abteile gleiten, die fleißigen Arbeitsbienen, die mit gesenkten Köpfen auf ihre Monitore starren, die Kopfhörer fest auf die Ohren gepresst, und versuche zu erspüren, ob das in mir irgendeine Erinnerung weckt.
    «Beste Freundinnen bis zur Neunten, danach nicht mehr so sehr», gesteht Tina. «Wir … na ja, Ihr wisst ja, die Highschool, da entwickelt man sich manchmal eben auseinander.»
    «Schon okay», sage ich. «Ich weiß, dass ich mich verändert habe. Kein Grund, meine Gefühle zu schonen.»
    «Nein, Püppchen. Daran lag es gar nicht. Du warst nun mal so, wie du eben warst. Ich habe dich bewundert. Du hast dein eigenes Ding durchgezogen. Auf die Regeln an der Highschool hast du gepfiffen.»
    Sie deutet auf eine offen stehende Tür, und Sam und ich betreten das Büro. Wir nehmen in zwei Ledersesseln vor einem stählernen Schreibtisch Platz. Das Fenster dahinter bietet einen atemberaubenden Ausblick auf die Skyline.
    «Du musstest eben schneller erwachsen werden als wir anderen», fügt sie hinzu. «Banalitäten wie die Cheerleader-Gruppe, der Wintertanz oder der Chor haben dich einfach nicht interessiert.» Sie runzelt nachdenklich die Stirn. «Stimmt nicht. In der Mittelschule bist du eine Zeitlang sogar der Star des Chors gewesen. Und dann auf einmal nicht mehr. Es hat dich nicht mehr so interessiert. Schließlich bist du nur noch wegen der Noten hingegangen.» Sie lacht. «Dabei hättest du’s im Schlaf geschafft.»
    «Kanntest du meinen Vater?» Die Frage platzt aus mir heraus. Geradewegs zurück in die alten Muster, obwohl Liv mich geradezu angefleht hat, sie zu überdenken. Vielleicht habe ich mich nicht verändert. Vielleicht ist mein neues Mützchen nichts weiter als Staffage.
    «Nicht besonders gut», antwortet Tina mit nachdenklichem Gesicht. «Wir wussten natürlich alle, wer er war, aber offensichtlich war er nicht sehr oft da. Nachdem wir uns neulich abends getroffen haben, rief ich meine Mutter an, um ihr genau dieselbe Frage zu stellen, weil ich mich im Grunde nicht an ihn erinnern kann und mich immer gefragt habe, warum nicht. Sie meinte, bis zu dem Augenblick, als er verschwand, hätten deine Eltern sich nie anmerken lassen, dass sie Probleme hatten. Eines Tages war er plötzlich weg. Danach, meinte sie, wäre deine Mutter ein bisschen verrückt geworden.» Ihre Augen weiten sich. «O Gott! Tut mir leid! Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich tendiere leider manchmal etwas zu verbaler Diarrhö.»
    «Ist mir auch schon aufgefallen», bemerke ich, jedoch nicht unfreundlich. «Aber ich bin dir nicht böse.»
    «Meine Mutter hat mir etwas erzählt, das du vielleicht nicht weißt. Jedenfalls jetzt nicht mehr. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob du es damals gewusst hast.» Tina steht auf und schließt die Tür, instinktiv oder auch absichtlich.
    «Und das wäre?»
    «Es gab das Gerücht, dein Vater wäre auf unserer Abschlussfeier gewesen.»
    «Was? Bei der Zeugnisübergabe? Nein, nein! Das habe ich nicht gewusst!» Hätte meine Mutter mir das nicht erzählen sollen?
    «Na ja, es ist ja auch nicht bewiesen.» Tina setzt sich, greift nach einem Bleistift und klopft rhythmisch damit auf die Tischplatte. «Es war nur eine dieser typischen Geschichten, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Irgendwer meinte, ihn in Jake’s Coffee gesehen zu haben, dann hat eine andere Frau erzählt, sie könnte schwören, dass er sich während der Zeremonie ganz hinten in der

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