Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
LA, die ein bisschen so dreinschaut, als hätte sie den Actionklassiker Beim Sterben ist jeder der Erste zu oft gesehen. Nur zögernd steigen sie in das Boot und mustern uns misstrauisch, bis der pinkfarbene Lippenstift meiner Mutter sie offenbar beruhigt.
Endlich sitzt jeder in einem Boot, nachdem sich alle, die nicht von hier sind, lautstark über das kalte Wasser beklagt haben. Es ist knapp über null. Vor zehn Sekunden war es noch Schnee – das kapiert doch wohl jeder.
Es ist viel davon die Rede, dass manche Leute ihre Swimmingpools auf 30 Grad heizen.
»Das Wasser kommt direkt vom Gletscher«, erinnere ich sie.
Schnatter, schnatter.
Als die Mutter der anderen Familie fragt, wie kalt genau das Wasser denn sei, antwortet der Guide: »Kalt genug.«
Mein Mann und ich sitzen ganz hinten. Unsere Kinder möchten ganz nach vorn, um ordentlich nass zu werden.
Mein achtzigjähriger Stiefvater verkündet mit seiner Jack-Benny-Stimme: »Also … wisst ihr … ich bin ja eigentlich eher einer von den Nichtschwimmern.«
Ausgezeichnet.
Dann sagt die Frau aus LA: »Paddel? Wir paddeln? Ich bin eine Jüdin aus Los Angeles. Ich paddele nicht.«
Das wird ja immer besser.
Mein Mann und ich machen Konversation mit dem Guide, der jung und ziemlich geschniegelt aussieht. Wir versuchen beide ganz offensichtlich, uns an unsere eigenen Zwanziger zu erinnern, indem wir ihn nach Anekdoten aus dem Sommer, Frauen, Alkohol und dämlichen Touristen fragen. Wir betteln geradezu um seine Anerkennung – ihr seid immer noch cool, ihr beiden , so was in der Art.
Jedenfalls gibt er niemand auf dem Boot irgendwelche Informationen zum Thema Sicherheit auf dem Wasser. Wahrscheinlich weil wir ihn in unserem Bestreben, einheimisch und cool zu wirken, dermaßen vollquatschen.
Obwohl, das ist nicht ganz korrekt. Er sagt uns, wir seien der Motor. Oder so eine Art Motor.
Und er sagt: »Wenn ich rufe ›alle vorwärts‹, dann paddelt ihr vorwärts, im Takt, die ganz vorne geben den Rhythmus vor.« (Das wären meine Kinder … sie sind gerade mal acht und zwölf. Und nicht die Fittesten unserer Besatzung, das wären nämlich eindeutig mein Mann und ich.) »Und wenn ich rufe ›alle zurück‹, paddelt ihr rückwärts.« Er erklärt uns aber nicht, wie man überhaupt paddelt.
»Alle vorwärts!«, brüllt er auf einmal.
Und schon sind wir im Wildwasser. Überall Felsen und riesige Strudel, die uns ansaugen und wie Babys durch den Geburtskanal ziehen – oder vielleicht eher wie eine Nachgeburt, die an der Nabelschnur rausgezogen wird. Die Familie aus LA kreischt jedenfalls. Und zwar nicht vor Vergnügen.
Ich gebe zu, das Wasser ist deutlich wilder, als ich mir das vorgestellt hatte. Unsere Kinder jauchzen und werden sofort
durchnässt. Die älteren Herrschaften sehen geradezu sediert aus. Vielleicht kommt es ihnen so vor, als würden sie sich das Ganze hier im Fernsehen anschauen. Dann sagt unser Guide: »Und jetzt alle relaxen.« Dafür möchte ich ihn küssen. Den ganzen Sommer über sehne ich mich schon nach jemand, der mein Boot durch diese vertrauten Gewässer steuert. Nach einem starken, aber sanften Guide, der freundlich das Kommando übernimmt und mir sagt, ich könne mich entspannen. Loslassen. Jemand ist am Ruder.
Also relaxe ich, wie mir geheißen. Momentan ist der Fluss auch ruhig und glatt. Meine Mom und ihr Mann haben Spaß daran, sich gegenseitig zu fotografieren. Die Leute aus LA fragen uns, wie das Leben hier so ist, als wären wir Aliens. Doch meine Mutter sorgt dafür, dass sie erfahren, aus welchem Teil von Chicago ich ursprünglich komme und welchen Lebensstandard ich dort aufgegeben habe. Ich merke, dass sie uns cool finden, egal, was meine Mutter oder der Guide davon halten. Wir spielen unsere Rolle und weisen sie auf Attraktionen hin – auf Weißkopfseeadler, Säger (nicht bloß Enten, denn mit Vögeln kenne ich mich aus), einen am Ufer trinkenden Hirsch.
Sie machen ungefähr 5000 Fotos von dem Hirsch. Sie haben noch nie einen in freier Wildbahn gesehen. Dann beginnen sie, uns zu erzählen, was es im Zoo von Los Angeles alles zu sehen gibt.
Ich klinke mich aus und versuche, ans Atmen zu denken. Versuche, mich nach diesem zweiwöchigen Familienbesuch wieder zu sammeln.
Der Fluss fließt hier ruhig dahin, und ich spüre, wie das Wasser um mein Ruder herumwirbelt. Ich paddle synchron mit meinem Mann. Es fühlt sich gut an, so im Einklang zu sein. Wir haben so viele Jahre so verbracht. Wir sind gut zusammen. Vor
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