Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
vielleicht glaubt er, nur er sei geeignet. Und der Guide natürlich. Denn ich, wir erinnern uns, bin ja unfähig.
Wir erreichen eine Stelle, an der das rechte Ufer aus einem glitschigen, gebogenen Felsvorsprung und das linke aus mehreren riesigen Findlingen besteht, die bis in die Mitte des Flusses reichen. Der Guide steuert auf die rechte Seite zu und die Strömung erfasst uns.
»Jetzt alle nach rechts lehnen!«, brüllt er, hält direkt darauf zu, sodass es uns rechts aufstellt wie einen Pfannkuchen, der gleich gewendet wird.
Wir beugen uns alle nach rechts.
Meine Mutter lehnt sich nach links. Zum anderen rechts eben. Ich hechte nach vorn, um sie auf die andere Seite zu schieben, und jetzt, da mein Schwerpunkt höher liegt, könnte ich augenblicklich schwören, dass wir kentern. Dabei stütze ich mich auf meine ganze verdammte Erfahrung als Reiterin in den letzten fünfzehn Jahren Montana. Und ich werde ganz bestimmt nicht mit einer Horde gänzlich ungeeigneter Leute und einem Schlauchboot über dem Kopf durch diese Stromschnelle der Kategorie III rauschen. Alle paar Jahre kommen auf diesem Fluss Menschen ums Leben. Es besteht also eine durchaus reale Gefahr.
Ich springe ab.
Zum einen habe ich sowieso den Halt verloren, aber vor allem glaube ich, rausspringen zu müssen, um das kenternde Boot nicht über mir zu haben. Nur so kann ich helfen, all diese Leute zu retten. Denn wenigstens ich weiß, wozu ich fähig bin.
Das Wasser ist schneller und kraftvoller als alles, was ich bisher erlebt habe. Die Stromschnelle erfasst mich und zieht mich unter Wasser. Tief hinunter. Während es mit mir abwärts geht, ziehen meine nur locker geschlossene Rettungsweste
und der lose sitzende Helm nach oben und schnüren mir die Luft ab. Alles um mich herum ist weiß und wild. Ich warte darauf, nach oben zu steigen, aber es geht immer tiefer, und ich weiß, was mir droht. Hier unten könnte ein umgestürzter Baum liegen und meine Schwimmweste könnte sich daran verhaken. Und wie zur Hölle soll man in einem solchen Strudel seine Hände und Finger so koordinieren, dass man den Verschluss öffnen und sich befreien könnte? In diesem Moment möchte ich außerdem diese Weste nicht missen, weil mir nur zu bewusst ist, dass sie das Einzige ist, was dafür sorgen wird, dass ich überhaupt wieder auftauche und den Rest meines beschissenen 42. Geburtstags erleben kann.
Zum Glück liegt da unten kein umgestürzter Baum.
Ich komme hoch, schnappe nach Luft und werde dann, jawohl, für noch längere Zeit nach unten gezogen. Diesmal dreht es mich einmal um 360 Grad, ich stoße gegen einen Felsen, bevor ich hinauf und in Richtung Ufer gespült werde. Ich fühle mich wie kielgeholt und steuere auf die scharfkantigen Felsen zu, die mit glitschigem Moos bewachsen sind, sodass garantiert keine Chance besteht, sich daran festzuhalten. Meine Nase ist voller Wasser, ich schnaube es heraus, huste, um meine Lunge freizubekommen, und halte nach den anderen Ausschau, die sicherlich in noch schlechterer Verfassung sind als ich. Ganz bestimmt.
Ich sehe das Szenario schon vor mir: Mein neuer Stiefvater, der nicht schwimmen kann, an einen Fels geklammert. Meine Mutter in ihrem gelben Regenmantel, wie sie bewusstlos auf dem Wasser treibt. Meine Kinder, die sich an das umgestürzte Schlauchboot krallen.
Dann sehe ich die Boote, zwei vor mir, eins hinter mir.
Nur dass gar keines von ihnen gekentert ist. Es ist auch keiner rausgefallen.
Außer mir.
Alles Gute zu deinem verflixten Geburtstag, cooles Montana-Mädel!
Wenigstens erinnere ich mich daran, die Beine vor mir auszustrecken. Ich befinde mich nach wie vor im Wildwasser, aber mir wird bewusst, dass ich das Paddel noch umklammert halte und meine Sonnenbrille seltsamerweise oben an meiner Schwimmweste hängt. Ich stopfe sie in meinen Ausschnitt und benutze das Paddel, um auf Abstand zu den Felsen zu bleiben.
Als das letzte Boot auf meiner Höhe ist, brüllt der Guide mir zu: »Sind Sie okay?«
Ich nicke. »Jawoll.« Zutiefst beschämt.
»Schwimmen Sie zum Boot rüber«, sagt er.
Das soll wohl ein Scherz sein. Aber ich habe ja mein Paddel noch, das ich in seine Richtung strecke. Er steuert das Boot zu mir, packt das Paddel und zieht mich daran neben sich. Ich will da hinein. Es ist verdammt noch mal arschkalt. Aber es besteht keine Chance, dass ich mich ohne Halt für meine Füße in diesem Wildwasser aus eigener Kraft hochziehe.
»Jetzt halten Sie sich noch kurz an dieser Leine an der Seite
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