Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
noch ein Bild von ihr und ihrem Mann zu machen, den sie ebenso selig anlächelt wie er sie. Wie kann es sein, das ihr mit ihren bald achtzig Jahren, in einem dicken gelben Regenmantel (den sie »slicker« nennt – er muss etwa von 1959 sein – und dessen Kapuze unter dem Helm heraussteht) und in einer khakifarbenen Freizeithose (die sie »slacks« nennt) – wie kann es sein, dass dieser Frau die Zuneigung ihres Mannes zuteilwird, während das einer 42-jährigen mit cooler Sonnenbrille und Patagonia-Outfit nicht gelingen will?
Ich fotografiere sie, und sie sieht mich wieder prüfend an. »Dir muss doch kalt sein in diesen Sachen.«
Ich friere selten. Und ich bin stolz darauf. Aber heute ist es kalt. Zu kalt für diese Jahreszeit. Ich bin zu leicht angezogen, und es nervt mich, dass sie recht hatte, als sie heute Morgen besserwisserisch meinte: »Es soll heute nur 17 Grad werden. Solltest du da nicht besser eine Windjacke und eine Freizeithose anziehen?«
Ich starre den Weißkopfseeadler an, der zurückstarrt, und würde ihn am liebsten für mich behalten, aber dann denke ich, dass ich ihn den anderen wohl zeigen sollte.
»Ich habe noch nie einen Weißkopfseeadler gesehen«, sagt der Vater aus LA.
»Da ist einer«, sage ich. »Auf dem toten Baum, dort drüben.«
»Wo?«
So viel ich auch hindeute, er kann ihn nicht sehen.
»Mach dir nichts draus«, meint seine Frau. »So einen gibt es im Zoo auch.«
»Aber er sitzt gleich da drüben. Auf zwölf Uhr«, sage ich.
Wie sich herausstellt, wissen sie nicht, was das bedeutet. Ich lasse es, wie auch alles andere, auf sich beruhen. Ich konzentriere mich wieder ganz aufs Atmen. Für länger als ein paar Sekunden. Für mehrere Minuten. Ich denke an den herzförmigen Stein, den mein Mann mir geschenkt hat und der auf dem Grund eines anderen Arms dieses Flusses liegt. Das hilft mir.
Und ich komme zu dem Schluss, dass dies hier ein guter Geburtstag ist, selbst wenn mein Mann ihn in diesem Jahr ignoriert. Selbst wenn ich ihm zu seinem Geburtstag vor einem Monat einen Gutschein für seinen Helikoptertraum geschenkt habe. Und dafür gesorgt habe, dass seine Lehrbücher aus einer schwebenden Maschine in unseren Garten abgeseilt wurden. Aber hey, mit solchen Gedanken und vier Dollar bekommt man gerade mal einen Kaffee bei Starbucks, wenn man Glück hat. Also atme ich einfach weiter und beobachte den Weißkopfseeadler in dem Wissen, dass zumindest mein Mann und die Kinder ihn auch sehen. Ich habe ihn schließlich entdeckt, und das macht mich erst mal zum coolen Adler-Mädel. Leute, die Adler entdecken, sind eben cool. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz
in Montana. Also bin ich »voll in Ordnung« wie die zwanzigjährigen Raftingguides und Snowboarder und Barmänner in unserem hübschen Tal zu sagen pflegen. Voll in Ordnung. Immer schön weiteratmen.
Und jetzt zum lustigen Teil der Geschichte:
»Okay, Leute«, sagt unser Guide. »Die nächste Stromschnelle ist eine der Kategorie III. Die, bei der Schlauchboote manchmal kentern. Das sage ich nicht, um euch Angst zu machen. Und es ist auch nicht so, dass da zwingend jemand über Bord gehen müsste. Das will ich damit nicht sagen. Aber für den Fall, dass … lasst euch einfach mit nach vorne ausgestreckten Beinen treiben, wie in einem Wohnzimmersessel. Und versucht, so nah wie möglich am Schlauchboot zu bleiben, dann ziehen wir euch an der Schlaufe oben an eurer Schwimmweste raus. Seht also zu, dass die stramm sitzt. Und wenn ich sage ›reinlehnen‹, dann lehnt ihr euch alle nach rechts. Alles klar, Leute?«
»Alles klar«, sagen wir und klingen dabei unterschiedlich verängstigt. Ich bin immer noch auf dem Trip cooles Mädel – Helm und Schwimmweste sitzen locker. Das hier sind doch Touristengewässer. Und ich bin so absolut keine Touristin.
Die Frau aus LA schaut panisch drein, und selbst ihre riesige Prada-Sonnenbrille wirkt angesichts der imposanten Stromschnelle vor uns irgendwie zwergenhaft. Ich muss an den Siebzigerjahre-Film Die Höllenfahrt der Poseidon denken. Darin wäre sie diejenige, die es erwischt.
Vor uns tauchen Felsen und schäumendes Wasser auf. Ich fürchte mich nicht für mich. Ich sorge mich vielmehr um alle anderen auf dem Schlauchboot, außer um meinen Mann. Er ist kein Typ, der aus einem Boot fällt. Aber ansonsten ist es wie in Gilligans Insel . Mit Ausnahme von mir und meinem Mann ist niemand aus unserer Truppe wirklich für dieses
Abenteuer geeignet. Ich hoffe, er denkt ebenso. Aber
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