Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
allem als Eltern.
Dann beginne ich zu entgleisen. Ich gerate aus der Spur, weil mir klar wird, dass ich stets im Gleichklang mit ihm sein möchte, während er derjenige ist, der nach den Momenten sucht, in denen wir es nicht sind. Wann hat sich das so entwickelt? Seit wann braucht er das, mir nachzuweisen, wo ich Fehler gemacht habe? Wir waren doch immer einander solche Fans. Aber ich konzentriere mich auf etwas Positives. Auf etwas, das ich im Griff habe. Etwas, worauf ich stolz bin. Etwas, worin ich gut bin und von dem ich weiß, dass mein Mann es an mir mag. Ich konzentriere mich auf mein Muttersein. Auf die Gespräche, die ich mit meinen Kindern jeden Abend und jeden Morgen führe, wenn sie im Bett liegen – über Freundschaft und den lieben Gott und Streitereien auf dem Schulhof. Dabei streiche ich ihnen übers Haar oder kraule ihnen den Rücken. Auf die Weißkopfseeadler, die wir zusammen beobachtet haben, die Pferde, die wir geritten und mit denen wir durch den Fluss geschwommen sind, die Pilze, die wir gesucht haben, die Blumenzwiebeln, die wir gepflanzt, die Gerichte, die wir mit Zutaten aus unserem eigenen Garten gekocht haben. Oder dass meine Kinder kaum einmal zu irgendetwas zu spät kommen. Wie ich mit allem, was in meiner Macht steht, versuche, noch ihre kühnsten Träume wahr werden zu lassen. Dass sie sich jeden Tag gesund und ausgewogen ernähren und kleine Zettel mit Aufmunterungen in ihren Pausenbrotschachteln finden.
Ich versuche, an einem Ort der Liebe zu bleiben. Auf dem rechten Weg. Ich versuche, einen gesunden Strom aus Liebe von mir in die Welt hinaus und zu allem, was darin ist, zu erzeugen. Ich atme tief. Ich will nicht streiten. Oder wütend sein. Oder gar verschwinden. Ich möchte so ruhig sein wie dieser Flussabschnitt. Und ganz langsam macht der Fluss meinen Verstand klar und licht. Ich spüre Montana durch meine
Adern fließen. Sein Wasser und seine übrige Natur wirken heilsam auf mich. Ich bin ganz ruhig und atme.
Dann dreht sich meine Mutter mit ihrer Kamera zu uns um und ruft: »Rückt mal näher zusammen, ihr beide, damit ich ein Foto von euch machen kann.«
Mein Mann rührt sich nicht.
Ich beuge mich zu ihm hinüber, und sie will schon ein Bild machen, lässt die Kamera dann jedoch wieder sinken: »Warum schaut ihr beide bloß so elend drein?« Rasch fügt sie dann noch hinzu: »Kannst du ein Foto von uns machen?«
Ich erinnere mich an meine Mantras von vor langer Zeit: Manchmal müssen wir einfach hinnehmen, dass man uns missversteht. Dieser Sommer war so eine Zeit. Die diesjährige Familienzusammenkunft ist die Krux.
Atmen. Dieser Schmerz ist die Folge von zu viel Nachdenken. Shenpa nennt Pema Chödrön das. Den Haken. Sie ist eine buddhistische Nonne aus Tibet, und ihre Botschaft ist ungemein eindrucksvoll, egal, ob man ihrem, einem anderen oder gar keinem Glauben angehört. Ich höre sie mir in letzter Zeit sehr oft an, ihre CD Getting Unstuck habe ich im Auto immer dabei. Ich beschließe, mich wieder auf meine Atmung zu konzentrieren und ganz im Augenblick zu leben. Warum muss dieses Familientreffen nur etwas so Lähmendes, geradezu Letales an sich haben?
Jetzt schaue ich also auf die Ufer und liebe mein Montana. Ich bin stolz, hier zu sein. Zwei Sekunden ohne Nachdenken.
Übers Wasser gleiten …
Da stößt Sheila wie ein hungriger Adler herab:
Zum Teufel mit ihnen allen! Das ist dein Geburtstag. Du solltest dich heute feiern lassen … von Menschen, die mit dir fotografiert werden möchten, mit Leuten, die, wenn sie meinen, du sähest elend aus, dich fest in den Arm nehmen. Anstatt
einzufordern, du solltest dich anders fühlen, als du dich nun einmal fühlst. Mit Menschen, die dich ungeachtet all dessen lieben. Üblicherweise beginnst du deinen Geburtstag doch damit, dass du vor Freude auf und ab springst.
Sheila irritiert mich immer, wenn sie Partei für mich ergreift. Aber vor allem hasse ich es, wenn sie recht hat.
Trotz meines labilen Zustands beschließe ich, mich nach Hause zu begeben, sobald dieses Geschenk absolviert ist, um pfirsich- und rosafarbene Rosen im Garten für mich zu pflücken, sie in den Mint-Julep-Krug aus Sterlingsilber von meiner Großmutter zu stellen und diesen dann neben mir zu platzieren, während ich ein Bad nehme. So werde ich mich aufwärmen und die Kälte, die immer unangenehmer wird, aus meinen Knochen vertreiben. Dann werde ich mal ausschließlich an mich denken!
Meine Mutter dreht sich erneut zu mir um und bittet mich,
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