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Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Titel: Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Mundson
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mehr in mir selbst als je zuvor. Ich war ganz allein zum Kern meines Wesens vorgedrungen, umgeben von diesen Gewässern voller Wale. Ich wollte aus dieser Stadt nicht weg. Ich wollte meine wahre Natur nicht inmitten von nichts als Natur erneut suchen müssen!
    »Wir müssten wohin ziehen?«, sagte ich.
    Und dann fiel mir ein, dass ich erst eine Woche zuvor die blöde Idee gehabt hatte, mich, wie es meine Großmutter an jedem Tag ihres Lebens getan hatte, abends neben mein Bett zu knien und den lieben Herrgott – zu jenem Zeitpunkt in meinem Leben war das eine Annäherung an Jesus und gesichtslose, körperlose Liebe – zu ersuchen, mir doch bitte,
bitte die Chance zu gewähren, Vollzeit zu schreiben. Ich heulte wie ein Kind und stieß schluchzend hervor: »Ich habe es satt, diese unzähligen Jobs, die mich nirgendwohin bringen. Ich möchte Zeit haben, meine Bücher zu schreiben. Ich wünsche mir Babys. Und genug Geld, um bei ihnen zu Hause zu bleiben. Ich will endlich veröffentlicht werden.«
    »Wir würden auch nicht ganz auf dem Land wohnen. Das ist ein Skiort«, sagte er – ein leidenschaftlicher Skifahrer – zu einem Mädchen aus Illinois.
    Das deprimierte mich erst recht. Skifahren lag mir nicht. Ich hatte immer gesagt, ich wolle nicht zu diesen Hasch rauchenden, vermögenden Pseudo-Hippies gehören, die in einen Skiort zogen. Ich liebte die Großstadt. Die Natur liebte ich zwar auch, aber ich brauchte sie nicht unmittelbar hinter meinem Haus. Dort wünschte ich mir lieber Cafés, Kinos, Kunstgalerien und kleine Buchhandlungen. Seattle war für mich der perfekte Kompromiss. Hier besaß ich ein Haus mit Garten. Das war mir ländlich genug.
    Doch rebellische Abenteurer lassen sich ein solches Angebot nicht entgehen. Nicht nachdem sie Gott eingeschaltet haben. Nicht wenn sie die große Reise im Blick haben. Und genau das hatten wir schließlich gemeint, als wir uns »zwei Ballons« nannten.
    »Okay«, sagte ich.
    Er sagte sogar am selben Abend noch mit gehobenen Augenbrauen und einer Stimme, die eine Oktave höher war als sonst: »Zwei Ballons.«
    Was ich nicht sagte, war: Ich dachte, wir wären hier für eine Weile gelandet.
    Einen Monat später lebten wir in dem riesigen, rechteckigen Staat, dessen Gesamtbevölkerung weniger als ein Drittel der Einwohnerzahl von Chicago beträgt: in Montana. Wo ich
mich gerade befinde, am Abend des immer noch selben Tages. Mit einem Patio voller hübsch bepflanzter Töpfe. Meine Kinder sind in ihren Zimmern bei der Ferienlektüre, und ich frage mich, wo mein Mann sein mag. Fünfzehn Jahre danach. Fast aufs Datum genau an dem Tag, als wir in diesen schönen Bundesstaat zogen.
    Etwas lässt mich vermuten, dass das Abendessen heute eher dürftig ausfallen und der DVD-Player als Babysitter fungieren wird. Dass ich mich bis in die frühen Morgenstunden in mein Arbeitszimmer zurückziehen und schreibend in den nächsten Tag hinüberretten werde. An dem dieses eheliche Mysterium hoffentlich enträtselt sein wird.

Montana
    In den frühen Morgenstunden, so viel ist sicher.

    Immer noch keine Nachricht.
    Die Kinder mit einer Notlüge ins Bett gebracht. »Daddy arbeitet lange.« Na gut, keine Notlüge. Eine Lüge. Für die Wahrheit wird uns noch reichlich Zeit bleiben. Ich muss nur vorher erst einmal wissen, mit was ich es hier zu tun habe. In einer Familie, die größten Wert auf Ehrlichkeit legt, kommt einem diese Lüge vor wie eine Verschmutzung des sternenübersäten Nachthimmels.
    Montana. Die Weite des Himmels. Ein wirklich richtig weiter Himmel. Etwas sagt mir, dass dieser Himmel schon viele Lügen verziehen hat.
    Ich selbst sah ihn erstmals bei Tag. Aber auch im Zuge einer Lüge. Ich log mir damals den ganzen Weg durch Washington und Idaho vor, dass ich glücklich wäre, hierherzuziehen. Dass ich diesen Ortswechsel freudig als Antwort auf mein Bittgebet verstünde. Dass ich für dieses nächste Kapitel bereit sei. Doch ich verbarg nur mühsam meine Tränen, während ich ausgestreckt auf der Rückbank unseres Volkswagens Vanagon lag und so tat, als schliefe ich.

    Als wir oben auf dem Hügel angekommen waren, von dem aus man in das Gletschertal hinunterblicken konnte, das unser Zuhause werden würde – die Ufer des Flathead Lake und rundherum die Berge –, flogen zwei Weißkopfseeadler so durchs Bild, dass man sie aus unserem Auto perfekt beobachten konnte. Ich erinnere mich, gescherzt zu haben, dass sei wie in dem Film Die Firma . Wahrscheinlich würde sein Boss in einem

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