Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
anstrengendes, gutes Leben führen und alles in mich aufnehmen und es alles niederschreiben und den Menschen damit helfen. Wie Cynthia Ozick, als sie schrieb: »Ich wollte nutzen, was ich war, sein, wozu ich geboren war – keine Karriere machen, sondern ein geradliniges, gänzlich unmissverständliches Wesen sein, eine Schriftstellerin.«
Und schließlich, nach so vielen Jahren, hatte ich die Chance, in Rilkes Welt zu faulenzen … auf Rumis Feld. Ich hatte Zeit zum Schreiben. Um darin den Schnittpunkt von Herz und Verstand und Handwerk zu finden. Ich wollte genau die Mutter werden, genau die Ehefrau, zu der ich bestimmt war. Umgeben von offener Landschaft und ungezähmter Wildnis. Ich begriff die Einsamkeit und Unsentimentalität der Natur als Gegenstück zu meinen früheren rastlosen Jahren. Ich war an jenem exotischen Ort meiner Träume angelangt, in dem himmlischen Reich in meinem Inneren. Eigentlich ziemlich
überraschend, aber durchaus nicht zufällig. So wie ich nie geglaubt hatte, etwas sei zufällig geschehen.
Ist es jetzt vorbei?
Bitte blättern sie ans Ende des Buches und sagen Sie mir, dass unsere Geschichte eine Erfolgsstory sein wird. Wir bekommen, was wir wollten, nicht wahr? Wir haben es durchgezogen, nach ein oder zwei harten Phasen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Und wir haben weder unser Land noch unser Haus aufgeben müssen, um das zu erreichen. Und dann sagen Sie mir bitte noch, dass ich das alles unbeschadet überstanden habe.
Was jedoch das Wichtigste ist: Sagen Sie mir, dass wir uns immer noch wie verrückt lieben.
Noch vor ganz Kurzem schien es mir, als wäre das so.
Bis der Mann, der in allem, was wichtig schien, mein Partner war – zwei Ballons –, der Mann, der mein Ehemann und der Vater meiner Kinder wurde, mir eröffnete, er sei sich nicht sicher, ob er mich noch liebe. Und das hoch in den Bergen im Nordwesten Montanas.
Aber ich glaube ihm nicht.
Ich tu’s einfach nicht.
Der blaue Duesenberg meines Vaters
Am nächsten Tag, um die Mittagszeit.
Er hat angerufen. Endlich. Er war draußen in der Hütte seines Kumpels am See. Dort gibt es keinen Handyempfang. Darum hat er nicht angerufen. Er braucht noch etwas Zeit zum Nachdenken. Ein paar Tage. Keinerlei Entschuldigung.
Ich weiß, dass Nachdenken im Moment wohl das ist, was er am wenigsten tun sollte. Er hat in letzter Zeit schon zu viel nachgedacht. Aber das sage ich natürlich nicht.
Ich beende das Gespräch möglichst schnell, damit ich nichts sage, was ich hinterher bereue.
Danach verbringe ich eine gute Stunde mit dem Versuch, Trost bei den Tellern, Silbersachen und Mokkatässchen aus dem Geschirrschrank meiner Großmutter zu finden. Das ist eine alte Gewohnheit von mir.
Schon als Kind liebte ich es, ihr dabei zuzusehen, wie sie schöne Dinge dort herausnahm und sie wie berühmte Vorfahren bei ihren Namen nannte. Limoges, Herend, Steuben, Royal Crown Derby. Sie gab sie mir auch in die Hand. »Sei vorsichtig.« Das war eine ernsthafte Angelegenheit, und ihr Blick
warnte mich, wenn sie ein Stück in meine kleinen Hände legte. Dann fuhr ich mit den Fingern darüber, prägte mir seine Form ein und wusste, dass ich vermutlich eines Tages glückliche Hüterin dieses Schatzes sein würde.
Dabei dachte meine Großmutter nicht materialistisch. Darum ging es ihr gar nicht. Auch meiner Mutter und der anderen Großmutter nicht, deren Pretiosen nun ebenfalls in diesem Schrank verwahrt sind. Allerdings schätzten die Frauen in unserer Familie ihre zerbrechlichen Kostbarkeiten. Wie schon gesagt, man gab auf sie acht und reichte sie weiter, und so existieren sie bis heute. Sie flüstern einer Generation nach der anderen zu, dass es eine Familie gibt. Das bedeutet einen gewissen Trost. Gibt einem ein Gefühl von Sicherheit. Seit langer, langer Zeit. Und wenn man es aus diesem Geschirrschrank holt und damit den Tisch deckt, dann existiert diese Familie und all ihr hart erarbeiteter und ererbter Trost bis heute fort, wenn auch im Rahmen einer neuen Familie, die der Tradition Ehre erweist.
Diese Pretiosen brauchte ich als Erinnerung, denn einen Großteil meiner Zeit als Kind fragte ich mich, wann endlich alle nach Hause kämen. Wann wir »eine ganze Familie« wären, wie ich es nannte.
Wenn ich meine Geschwister vermisste, tröstete ich mich oft damit, dass ich durchs Haus streifte und mir solche schönen Dinge zusammentrug. Handbemalte Porzellanfiguren, Kerzenleuchter aus geschliffenem Kristall, Silbergefäße, die mich an
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