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Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Titel: Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Mundson
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kreisen, denn das tun sie so sicher wie die Moskitos rund um seine Angelrute. Was würde mein Vater wohl zu diesem Drama sagen, dass sich an einem schönen Sommertag zuträgt, während meine Kinder bei den Nachbarn jenseits des kleinen Waldstücks spielen. Ich kann sie auf dem Trampolin springen und schreien hören: »Spritz mich doch nass!« Ein Hahn kräht zur Mittagsstunde. Und so wie ich diese Bande aus Nachbarskindern kenne, ist es inzwischen ein nasser Hahn.
    Dies ist genau der Moment, in dem ich meinen Vater im Büro anrufen würde – ein Privileg, das man nicht hoch genug schätzen kann.
    Seine Sekretärin würde den Anruf entgegennehmen und mich im Gegensatz zu meiner Mutter, die mich auch sprechen wollen würde, direkt zu ihm durchstellen.
    Er würde sich mit seiner Bürostimme melden, und ich würde sie imitieren, woraufhin sein Ton sofort weicher und er sagen würde: »Aaaaaah, Laura. Hallo.« Ich würde hören, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog, und zwar durch die Telefonleitung aus der Michigan Avenue in Downtown Chicago bis dorthin, wo ich mich gerade befand: an einem Münztelefon im Internat, in einem Studentenwohnheim am College,
in einem italienischen Postamt oder eben in einem Zimmer in Montana, wo es bis auf den verrückten Hahn ganz still war.
    »Du hast also beschlossen, deinen alten Dad anzurufen.« Stellen sie sich in etwa Jimmy Stewart vor. »Yep –« Ich würde sofort wieder verstummen, weil mir die Tränen kämen, obwohl ich mir fest vorgenommen hätte, nicht zu weinen.
    Da würde seine Stimme noch eine Spur sanfter. »O-oh. Was hat denn mein kleines Mädchen?«
    Und dann würde ich einfach losheulen und eine Zeitlang schluchzen und ihn mir in seinem Geschäftsanzug vorstellen. Ich würde mir wünschen, an seinem Hals zu schnuppern und mit ihm im University Club Mittagessen zu gehen und danach nebeneinander in rotledernen Ohrensesseln ein Päuschen zu machen, wie damals in dem Sommer, als ich Praktikantin am Art Institute war.
    »Weißt du, was ich gerade vor mir habe?«, würde er wie jedes Mal sagen.
    »Was?« Ich würde meine Nase putzen und längst wissen, was er sagen würde, und vielleicht hätte ich ihn sogar genau aus diesem Grund angerufen.
    »Das alte Stück Holz, das du mir vor langer Zeit geschenkt hast. Mit dem aufgeklebten Foto eines Oldtimers darauf. Erinnerst du dich daran?«
    Das würde mich nur noch heftiger weinen lassen, weil ich ihn in meiner Vorstellung mir zuzwinkern sähe. »Natürlich erinnere ich mich daran. An deinen blauen Duesenberg.«
    Dann würde er mich aufziehen. »Also, ich wäre dann schön langsam bereit für einen echten.«
    Das brächte mich unter Tränen zum Schmunzeln, und er würde kichern. Aber wir beide wüssten, dass unser alter Pakt noch galt, der da lautete: Ich werde berühmt und kaufe ihm
sein absolutes Traumauto, einen blauen Duesenberg von 1930.
    Darauf hatten wir uns viele Jahre zuvor geeinigt. Und es ging dabei weniger um das Auto. Eher um seinen unerschütterlichen Glauben daran, dass ich in gewisser Weise so brillant wäre, dass die ganze Welt davon Kenntnis nehmen musste.
    Mein Vater pflegte immer zu behaupten, eines Tages würde ich berühmt. Er wünschte es mir. Als ich zur Welt kam, war er fünfzig. Meine Mutter hatte er mit vierzig geheiratet, was für seine Generation ziemlich spät war.
    Von Beginn an wussten wir also beide, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt wäre.
    Und die Tatsache, dass an meiner Schule die meisten mit fünfzehn auf Prep Schools nach Neuengland gingen, machte die Sache noch schlimmer. Denn vor diesem Hintergrund rechnete ich mir aus, dass uns nur etwa fünf gute gemeinsame Jahre blieben. Väter fielen schließlich mit sechzig beim Rasenmähen tot um. Ich wusste von ein paar solchen Fällen. Und wenn ich das Ganze in meinem kleinen Kopf drehte und wendete, dann kam ich zu dem Schluss, dass wir uns schon glücklich schätzen mussten, wenn wir diese fünf Jahre überhaupt erlebten.
    Wenn man dann auch noch die gesellschaftlichen Verpflichtungen meiner Eltern berücksichtigte, hieß das, dass ich ihn an den beiden Abenden des Wochenendes missen musste. Außerdem ging mir der halbe Sonntag in der Kirche durch die Lappen, auch wenn ich dort immerhin mit ihm zusammen Choräle singen, seine große Hand halten und mit dem goldenen Siegelring an einem seiner dicken, trockenen Finger spielen konnte. Ich drückte auf seine erhabenen, violetten Adern. Dann funkelte er mich an, weil ich Unsinn machte, doch sein

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