Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
dass unsere Kinder es tun. Sie wissen, dass Montana sie zu etwas Besonderem macht. Besonders im besten Sinne. Und dass sie zwischen der Welt, die ihre Eltern zurückgelassen haben, und ihrem gegenwärtigen Zuhause hin und her wandern können. Und sie spüren die Freiheit, die es bedeutet, auf keine von beiden beschränkt zu sein.
Im Laufe der Jahre haben uns Freunde aus dem Mittleren Westen, von der West- und der Ostküste besucht. Sie alle standen entgeistert auf unserer Türschwelle. Selbst die eingefleischten Skeptiker. Wie konnten wir die Kühnheit besitzen, alles aufzugeben, hatten sie sich gefragt. Aber sobald sie ankommen, begreifen sie es. »Ihr habt es so schön hier«, sagen sie und wirken auf der Stelle betrogen von ihrem Leben an privilegierten Orten, die noch Stunden zuvor wie das Beste vom Besten schienen. Ein Swimmingpool im Country Club und ein Naturlehrpfad in der Vorstadt wirken neben dem, was Montana wie eine perfekte Gastgeberin mühelos bietet, fast ein wenig lächerlich. Ich glaube, dass gerade die von Montana »infizierten« Besucher es besonders bedauern würden, wenn wir von hier fortmüssten.
Ich selbst würde es aber gar nicht »Kühnheit« nennen (es war eine gewisse Neugierde, ein Erkundungsdrang). Wenn ich es jetzt genauer betrachte, wie in diesen Kapiteln, dann war es eher … nun, am liebsten würde ich es »das Glück der Narren« nennen, doch das trifft es auch nicht. Es war vielmehr etwas in unserer Geisteshaltung, dass wir in dem Augenblick, als wir einander das erste Mal sahen, beim jeweils anderen erkannten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne einander auch hier hergekommen wären. Wohl nicht so unbeschadet. Nicht mit so vielen verwirklichten Träumen. Zumindest was die Kinder, das Haus und das Land angeht. Ich wage es allerdings, Folgendes zu behaupten: Wenn ich diesen Zwanzigjährigen, die sich an jenem ersten Abend, als sein Hund mich biss und wir im Haus seiner Studentenverbindung um das Bierfass herumstanden, zum ersten Mal in die Augen schauten, damals irgendwie hätte sagen können, dass wir eines Tages so viel zu verlieren hätten, wäre wohl keiner von uns beiden total überrascht gewesen.
Denn darum war es schon in unserem allerersten Gespräch gegangen: um Familie, die Zukunft, unsere Eltern aus der Generation des Zweiten Weltkriegs, über unsere älteren Geschwister, die eben noch auf Grateful Dead abfuhren und auf einmal Babys, Karrieren, Häuser und VERANTWORTUNG hatten. Wir teilten einander diese Fakten wie verführerische Aktivposten mit, als wollten wir einer den anderen mit unseren prosperierenden Familien beeindrucken – die wiederum überzeugt von der Idee Familie waren. Wir legten also die Trümpfe sofort auf den Tisch – unsere Könige, Damen und Buben.
Aber das hätten wir damals natürlich nicht zugegeben. Meine Güte, das haben wir schließlich niemand gegenüber je getan, schon gar nicht unter uns laut ausgesprochen. Wie schrecklich profan. Aber genauso war es.
Das erste Geschenk, das ich von ihm bekam, war eine Kaffeemaschine. Eine wirklich hübsche. Eine, von der er hoffte, sich damit noch jahrelang seinen morgendlichen Cappuccino zuzubereiten. Genau die, die er am Morgen vor zwei Tagen noch benutzt hat.
In diesem Augenblick meines Lebens blättere ich in meinen alten Büchern und Tagebüchern. Ich lese noch mal das Rilke-Zitat, das auf unserer Hochzeit vorgetragen wurde. Ich sehe die verwegenen Unterstreichungen und Sternchen, die ich als Braut um die Stelle »Welt zu werden für sich um eines anderen willen« gemacht habe. Meine erste Ausgabe von Briefe an einen jungen Dichter kaufte ich mir, als wir in Boston lebten. Im Harvard Coop. Damals arbeitete ich als Cocktailkellnerin und beendete gerade meinen ersten Roman. Dieser Rilke-Band liegt im Moment vor mir. Meine Handschrift wirkt rundlich, und meine Randnotizen klingen hochtrabend. Sachen wie »typisch für eine Gruppe von Gleichaltrigen« oder »Ja – wusste ich schon«.
Tat ich das wirklich?
Wir hatten noch Welten zu werden, wie Rilke uns am Tag unserer Hochzeit mahnte, sechs Jahre nach unserem ersten Abend, heute vor fünfzehn Jahren. Um noch einmal auf das Zitat zurückzukommen: Wir waren reifende Einzelne und dabei, etwas in uns zu werden, Welt zu werden. Das ist keine geringe Aufgabe. Und wir sind Dummköpfe, wenn wir glauben, das innerhalb einiger weniger Jahre hinzubekommen.
Wenn ich in meinen Tagebüchern blättere – von der Zeit als Jugendliche bis in meine Dreißiger
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