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Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Titel: Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Mundson
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Und das meine ich nicht nur im geografischen Sinne. Was natürlich bedeutet, dass wir auch uns selbst gründlich unter die Lupe zu nehmen haben. Verdammt.
    Ich werde jetzt eine ganz schöne Anstrengung unternehmen, aber sie wird der Mühe wert sein. Was wäre gewesen, wenn ich mir Italien schon Jahre zuvor gegönnt hätte? Wenn ich mir dieses Land alljährlich den Juni über gegönnt hätte? Egal, wie meine finanzielle Situation das verkraftet hätte. Egal, wie es um mein Italienisch stand. Egal, wie alt meine Kinder gewesen wären. Egal, ob meine italienische Familie sich um mich gekümmert hätte oder auch nicht. Was, wenn ich mein ganzes
Geld zusammengekratzt und eine kleine Villa südlich von Florenz zur Miete gefunden hätte und dort hingereist wäre? Jedes Jahr. Zwanzig Jahre lang. Wer wäre ich dann heute? Was würde ich mir wünschen? Was hätte ich dann geschaffen?
    Das ist wie bei Ihnen und dem vorlauten Klavier in Ihrem Wohnzimmer.
    Die Antwort mag hypothetisch sein. Aber es lohnt sich dennoch, die Frage zu stellen. Weil ich Ihnen sagen kann, wer ich ohne Italien war. Und wenn ich Italien sage, dann wissen Sie, dass es nicht zwingend Italien sein muss. Es könnte eine andere Destination oder etwas vollkommen anderes sein, etwas, wonach wir uns verzweifelt gesehnt haben und wovon wir viel zu lange glaubten, es nicht zu verdienen.
    Um dieser Sache wirklich auf den Grund zu gehen, lassen Sie uns eine noch größere Anstrengung wagen: Wenn wir uns selbst unsere größten Träume vorenthalten, wie positionieren wir uns dann für den Umgang unserer Ehemänner mit uns? Oder anderer Menschen, die uns nahestehen? Oder aller, mit denen wir zu tun haben? Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, wie sollen dann andere auf uns eingehen? Was erzeugen wir dadurch? Weitere Vernachlässigung?
    Denken Sie doch bitte eine Minute lang darüber nach.
    Ich möchte hier kurz unterbrechen und auf mein gegenwärtiges Leben zurückkommen. Darin habe ich einen Ehemann, der in der Krise steckt. Und ich werde mein Bestes geben, um nur mit den Hunden im Wald spazieren zu gehen, ohne ihn vierzehnmal auf seinem Handy anzurufen. Denn auch wenn er gesagt hat, am See gäbe es ohnehin kein Netz – ich würd’s tun, um einfach nur seine Stimme auf der Mailbox zu hören. Ich liebe seine Stimme. Das ist dieselbe Stimme, die einst gesagt hat: »Ja, ich will.« Dieselbe, die kürzlich gesagt hat, dass er nicht mehr will.

    Ich werde durch den Wald laufen und versuchen, nicht nachzudenken.
    Ich werde den riesigen Fels aufsuchen, der mir seit Jahren als eine Art Schrein dient. Ich suche ihn auf, um kleine Dankesgaben dort abzulegen. Weniger um etwas zu erbitten, sondern einfach um kleine Geschenke aus der Natur in der faustgroßen Vertiefung an seiner Frontseite zu deponieren: rotes Weinlaub im Herbst, einen kleinen Rehknochen, mit trockenem Gras zu einem Kreuz zusammengebundene Zweige.
    Nur dass ich diesmal nicht mein übliches Ich ergebe mich, was die Buchveröffentlichung angeht, in mein Schicksal oder Ich danke für mein erfülltes Leben murmle. Diesmal sage ich etwas Neues. Diesmal wird es etwas wirklich Unvorstellbares sein: Ich ergebe mich in mein Schicksal, was die Möglichkeit angeht, ob mein Mann mich je wieder lieben wird .
    Doch ich bezweifle, dass ich die dazu nötige Würde aufbringe. Eher vermute ich, dass ich einfach die Stirn an sein Moos und seine Flechten pressen, auf die im Lauf der Jahre zusammengetragenen bescheidenen Gaben – all die Hoffnungen, Danksagungen und die Ergebenheit – blicken und meinen Kopf hin und her bewegen werde. Und ich werde nur einen Gedanken haben: Bring … ihn … nach Hause .

Erleuchtung
    Am darauffolgenden Tag.

    Ich sitze hier in meinem Arbeitszimmer – wieder in den frühen Morgenstunden, während die Kinder noch schlafen, und frage mich, was genau mein Mann unter »ein paar Tagen« verstehen mag. Inzwischen sind es schon zwei. Bedeutet es, dass er heute die Einfahrt heraufkommen wird, nachdem er zwei Tage lang am See gesessen, geangelt und nachgedacht hat? Und wird er dann etwas Gutes äußern? Oder etwas sehr Schlimmes? Oder heißt »ein paar Tage« eigentlich Ich komme überhaupt nicht mehr nach Hause ?
    Ergib dich dem Schicksal , denke ich, genau wie ich es gestern dachte, als ich durch den Wald lief. Doch der Wald war zu dominant, geradezu fordernd. Als ob er von mir verlangt hätte, mich auf die Knie zu werfen. So wie ich es damals, an jenem Abend in Seattle, getan hatte,

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