Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
etwas Neues. Etwas Nonchalantes. Etwas ein wenig Herablassendes. Und das äußerte sich so: »Der Dollar geht in den Keller, der Ölpreis steigt? Na und? Und was soll’s, wenn ihr
euren Präsidenten hasst? Was soll’s, wenn ihr euch wegen des Krieges schämt, in den er euch hineingezogen hat?« Bei aller Umarmung war da doch auch ein schwaches Glitzern in den Augen, weil die größte Weltmacht gegenwärtig und vielleicht auf Dauer versehrt war. Zweite Geige. Und das tun sie so en passant wie eine Witwe eine Freundin tröstet, wenn diese sich über die Untreue ihres Gatten beklagt.
So gesehen, kam ich vielleicht ebenso angeschlagen wie die USA nach Italien. Vielleicht sogar gebrochen. Ich sehnte mich nach Umarmung, nach Mitgefühl. Und ich wollte die Umarmung auch erwidern. Um mir selbst zu beweisen, dass ich nach dem Tal, das ich nach dem Tod meines Vaters durchschritten hatte, auch wieder für mein seelisches Gleichgewicht sorgen konnte.
Ich reiste mit meiner Tochter, weil es mir wichtig war, dass sie mich so glücklich sah. Außerdem setzte ich darauf, dass Italien auch sie heilte. Denn selbst wenn das hier nicht ihre Geschichte ist, so kann ich doch behaupten, dass meine Tochter die Realitäten des Lebens durchaus schon kennt. Sie hat die Auswirkungen von beruflichem Stress auf ihre Eltern erfahren. Sie hat gesehen, wie diese sich manchmal selbst verleugneten. Sie hat ihre Mutter in lähmender Trauer erlebt – eine Mutter, die unter dem Verlust ihres Vaters litt. Sie hat am eigenen Leib die kleinen Dramen der Vorpubertät zu spüren bekommen, und sie weiß, dass sie sich bald all den Herausforderungen wird stellen müssen, auf die wir sie vorbereitet haben. Ich brachte sie nach Italien wie man in anderen Kulturen seine Heranwachsenden zu heißen Quellen oder weisen Frauen führt. Und Italien hatte seinen Zweck voll erfüllt.
Erste Sehenswürdigkeit: David . Natürlich. Denn auch wenn ich in diesem Museum schon einmal drei Stunden lang einem Kunsthistoriker gelauscht habe, der die geschichtliche
Bedeutung dieser Skulptur erklärte … seien wir ehrlich: David ist scharf. Trotz der Erläuterung, die ich meiner Tochter über die Bedeutung der Nacktheit in der Kunst gab, muss ich zugeben, dass ich einfach eine Schwäche für David habe.
Im College hatte ich eine Postkarte von ihm über meinem Bett hängen. Kein Paul McCartney, kein Jim Morrison. David. Das war auch das Bett, in dem ich den nackten Po meines Mannes zum ersten Mal sah. Ich sagte ihm, er sähe aus wie der von Michelangelos David . Ich bat ihn, genau die gleiche Pose einzunehmen, und er machte es.
Zwanzig Jahre danach stand David da in all seiner Pracht. Nackt, alabasterfarben hält er in seinem eigenen Mausoleum Hof. Ich liebe es, die Leute dabei zu beobachten, wenn sie hinter ihm stehen. Egal, wer man ist – egal, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung oder Herkunft –, seinen tollen Hintern bemerkt jeder. Manche gestehen es mit einem Lächeln ein. Andere benehmen sich, als würden sie gerade einen interessanten Zeitungsartikel lesen und heben nur eine Augenbraue. Wieder andere erröten und verziehen sich ganz schnell. Besonders wenn sie zwölf sind.
Daher drehte auch meine Tochter nur eine schnelle Runde und verschwand dann in einem anderen Saal. Ich dagegen musste eine Weile auf seiner Rückseite stehen bleiben. Und das nicht nur aus offensichtlichen Gründen.
Seit ich meinen Mann kennengelernt hatte, hatte ich den David nicht mehr gesehen. Seit ich meinem Mann gestanden hatte, er erinnere mich an eine der meist bewunderten Skulpturen der Welt. Ich musste also mein zwanzig Jahre altes Männerbild überdenken. Vielleicht auch das Bild, das ich von meinem Mann hatte.
Meine Reaktion war jedoch eine Enttäuschung. Keine Spur von Erotik. David sah irgendwie genervt aus. Fast wie lebendig
begraben. Nicht unähnlich meinem Mann in seiner gegenwärtigen Verfassung.
Vielleicht vermisst David den Regen und die Abgase, den Taubendreck, den sein alter Job als Wächter vor dem Palast der Medici mit sich brachte. Vielleicht ist ihm auch unwohl, weil man ihn quasi als König in seinen eigenen Palast (die Galleria dell’Accademia) gestellt hat. Jetzt wird er von Sklaven flankiert. Von Michelangelos Sklaven.
Ich mochte schon immer Michelangelos Vorstellung, dass seine Skulpturen sich bereits im Stein befinden, so wie die Seele im menschlichen Körper. Daher ließ Michelangelo seine Sklavenstatuen unvollendet, um zu zeigen, wie sehr wir
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