Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
zwischen sehnen und erschaffen. Zwischen loslösen und anknüpfen.
Ich habe das selbst herausgefunden, als ich in diesem Juni endlich wieder nach Italien reiste.
Dazu kam es, weil ich es, wie so viele andere Dinge, einfach nicht mehr hören konnte. Oder ich mich, mit anderen Worten, selbst überwunden habe. Oder freundlicher ausgedrückt: weil ich mir selbst nicht mehr im Weg stand.
Zufällig lief mir im Lebensmittelgeschäft eine Freundin über den Weg, die geradezu strahlte. Ich machte ihr ein Kompliment, und sie erwiderte: »Das muss an den drei Wochen Italienurlaub liegen, die wir gerade gemacht haben.« Und das von einer Frau mit zwei Jobs, einem Kleinkind, die kein Wort Italienisch spricht und auf dem ganzen Stiefel keine Menschenseele kennt.
»Ich würde ja alles geben, um noch einmal dorthin zu reisen. Weißt du, ich habe mal ein Jahr lang dort gelebt.« Bu-huu.
Sie sah mich verständnislos an und sagte unverblümt: »Dann fahr doch! Was hindert dich denn?«
Ich überlegte einen Moment und ließ meine gesammelten Ausreden im Stillen Revue passieren. Doch angesichts ihrer leuchtenden Augen lösten sie sich allesamt in nichts auf. »Eigentlich weiß ich das, offen gestanden, auch nicht.«
Ich fuhr nach Hause und in null Komma nichts (denn genau so passieren solche Sachen ja) rief ich bei der Fluggesellschaft an und erfuhr, dass wir genug Meilen gesammelt hatten, um alle zusammen zu fliegen. Dann kontaktierte ich meine
ehemalige Gastfamilie und hörte, dass sie ihre Villa auf dem Land in ein Bed & Breakfast umgewandelt hatten und uns einen Riesenrabatt gewähren würden. Außerdem boten sie uns auch noch ihr Auto an, Gratisverköstigung an ihrem Familientisch jeden Abend, einen Kochkurs, Transfer vom und zum Bahnhof und versicherten mir, wie sehr sie sich freuten, mich vermisst und gar nicht verstanden hätten, warum ich sie in all den Jahren nie besucht hatte. All das und dazu meine Sehnsucht aus einundzwanzig Jahren ließen mich in Tränen ausbrechen und sofort buchen.
Zunächst ging ich von einer Reise zusammen mit meinem Ehemann aus. Schließlich hatte ich ihm mehr als ein halbes Leben lang damit in den Ohren gelegen. Außerdem besitzt er neben der amerikanischen auch noch die Schweizer Staatsangehörigkeit. Insgeheim hatten wir uns vorgenommen, das irgendwann zu nutzen und in Europa zu leben. Ich hatte mir in meiner Fantasie schon ausgemalt, dass diese Reise eine Art Türöffner zu dieser Möglichkeit sein würde.
Doch er beharrte darauf, arbeiten zu müssen. Außerdem sei die ganze Unternehmung viel geeigneter für unsere zwölfjährige Tochter. Er würde gerne mit unserem Achtjährigen zu Hause bleiben, sofern ich vorab genügend Spielverabredungen und Sommerlager organisierte, damit der Junge tagsüber beschäftigt sei.
Ich war erst einmal enttäuscht, doch dann dämmerte mir, dass ich mich ohne meinen Mann auf keinerlei erwachsenes Desinteresse an der Renaissance gefasst machen musste. Natürlich würde eine Zwölfjährige in der Schlange vor den Uffizien vermutlich auch ein bisschen maulen, aber das war kalkulierbar. Ein 41-jähriger Mann dagegen, der verschlief, während es Märkte zu besuchen galt oder Cafés zu frequentieren, florentinisches Essen zu genießen, Skulpturen mit Tränen der
Rührung zu bewundern und Gemälde mit den Worten »Mein Gott, in Hunderten von Jahren hat sich nichts verändert« oder »Sieh dir mal ihre Zehennägel in den Sandalen an – das könnten ja meine sein« zu bestaunen, hätte mir, ehrlich gesagt, das Herz gebrochen – so wie jegliche Ablehnung, ob gegen die Zehennägel, die zahlreichen Espressi, die Teller voller Pasta und Innereien und Kaninchen und Fisch in Salzkruste ….
Also sagte ich nur: »Schön. Klasse. Perfekt. Ich danke dir.«
Vielleicht sagen Sie sich jetzt: Na, ich weiß schon, wo das hinführt. Kein Wunder, dass sie glücklich war. Und gelassen. Schließlich hat sie den ganzen Juni in der Toskana zugebracht. Mit ihrer geliebten Tochter. Nach vier Wochen Afghanistan hätte das sicher anders ausgesehen.
Aber eigentlich hat es damit gar nichts zu tun. Also bleiben Sie cool. Gießen Sie sich ein Glas Chianti ein. Oder noch besser: einen Barolo. Dazu eine schöne Bruschetta mit Tomate und Basilikum. Das Brot vorher mit Knoblauch einreiben und richtig grünes Olivenöl darüberträufeln. Machen Sie es sich damit irgendwo bequem, denn wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir müssen nämlich herausfinden, wo sich unsere Partner befinden.
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